Leseprobe Die Verlockungen einer Lady

Kapitel 1

Zu den frühesten Erinnerungen von Lady Miranda Elizabeth Cheswick gehörte es, dass ihre Mutter die große Schönheit ihrer Tochter rühmte und sagte, Miranda würde eines Tages einen Prinzen, zumindest aber einen Duke heiraten. Da Lady Miranda die Tochter eines der namhaftesten und einflussreichsten Earls im ganzen Königreich war, wurde erwartet, dass ihr zukünftiger Gemahl ein Mann von hohem Rang, Ansehen und großem Reichtum sein würde.

Daher war ihre Mutter, die Countess of Langford, schon seit Mirandas Debüt vor drei Jahren auf der Jagd nach einem Gentleman, der den hohen Ansprüchen der Cheswick-Familie genügte. Sie tat es mit einer Zielstrebigkeit, die Miranda zuweilen beängstigend und geradezu peinlich fand.

Ihre Mutter sah das natürlich ganz anders. Wie sie häufig bemerkte, durften Mirandas unvergleichliche Schönheit und Anmut, ihr Charme und Verstand nicht an einen mittelmäßigen Gatten verschwendet werden; eine Überzeugung, die sich im Laufe der Zeit auch ihrer Tochter eingeprägt hatte. Lange hatte Miranda geglaubt, dass für sie im Leben nur das Beste gut genug sei, und dieser Glaube hatte sie eine enge Freundschaft gekostet, die Miranda sehr wichtig gewesen war. Der Bruch zwischen Pippa, der frisch gebackenen Duchess of Carlyle, und ihr war so tiefgehend gewesen, dass die beiden Frauen seit fast zwei Monaten nicht mehr miteinander sprachen. Doch Miranda wünschte sich nichts mehr, als die Beziehung zu kitten.

Langsam ließ sie die Zeitung sinken, die vermeldete, dass der Duke und die Duchess of Carlyle nach einer wochenlangen Reise wieder in der Stadt seien. Trotz ihres beklemmenden Gefühls und der leisen Zweifel musste sie Pippa auf der Stelle einen Besuch abstatten.

Da flog die Tür zum Salon auf, und ihre Mutter kam in einem wallenden grünen Kleid mit raschelnden Unterröcken hereingerauscht und knallte die Tür hinter sich zu. Seit mehr als zwei Stunden hatte Miranda auf diese Auseinandersetzung gewartet, denn am vergangenen Abend war nichts so gelaufen, wie ihre Mutter es geplant hatte. Miranda wappnete sich gegen das Donnerwetter, das ihr bevorstand.

„Du wirst unsere Erwartungen nicht noch einmal enttäuschen, junge Dame!“, keifte ihre Mutter ohne weitere Einleitung, während Tränen in ihren veilchenblauen Augen standen, mit denen sie ihre Tochter wütend anfunkelte. „Es ist deine Pflicht gegenüber dieser Familie, dich zu verheiraten, und zwar gut! Und ich will kein Wenn und Aber mehr hören, Miranda!“

Mit steifem Rückgrat, doch in eleganter Pose saß Miranda auf dem Sofa und wagte nicht einmal zu blinzeln, während ihre Mutter sie anschrie, weil Miranda es wieder einmal nicht geschafft hatte, sich den Mann zu angeln, der allgemein als beste Partie der Saison galt. „Mama, ich kann es erklären –“

„Drei hervorragend geeignete Heiratskandidaten hast du dir jetzt schon durch die Lappen gehen lassen! Drei! Du hast die Aufmerksamkeit des Großfürsten Vladimir Konstantinowitsch auf Miss Harriet Shelby gelenkt, und jetzt sind die beiden verlobt! Ich kann es immer noch nicht fassen. Ein russischer Fürst und dieser Niemand! Dann hattest du den Duke of Carlyle in Reichweite. Ich habe alles getan, damit du ihn dir schnappen konntest, doch du dummes Mädchen hast ihn entwischen lassen. Und auf der Soirée gestern Abend habe ich dafür gesorgt, dass du zusammen mit dem Marquess of Blythe im Wintergarten eingeschlossen wurdest. Ich musste einen Diener bestechen, damit er dich und den Marquess mit Botschaften dorthin lockte. Und dann hattest du den Nerv, dich durch ein Fenster aus dem Staub zu machen!“

Mirandas Vater hatte oft in liebevollen Worten davon erzählt, mit welcher List ihre Mutter ihn sich vor mehr als fünfundzwanzig Jahren geangelt hatte. Und nun ließ sie keinen Zweifel daran, dass sie dasselbe von ihrer Tochter erwartete. Miranda erstarrte, als sie daran dachte, wie erschrocken sie gestern Abend gewesen war, als sie erkannte, was ihre Mutter im Sinn hatte. „Lord Blythe weckt kaum Gefühle in meinem Herzen, Mama.“

Zwar galt der Marquess als gut aussehender und modisch-eleganter Mann, doch seine Berührungen hatten Miranda kalt und ungerührt gelassen. Allmählich begann sie sich zu fragen, ob es so etwas wie Leidenschaft überhaupt gab. „Er hat mich nicht ein einziges Mal gefragt, was ich gerne tue oder wie ich meine Zeit verbringe. Stattdessen hat er mir nur Komplimente wegen meiner Schönheit gemacht und –“

Entgeistert schüttelte die Countess den Kopf. „Du elendes, undankbares Mädchen! Da haben wir uns solche Mühe gegeben, ein Juwel der High Society aus dir zu machen, und du redest, als wäre dir das nicht recht!“

Während der letzten Jahre hatte sich Miranda zu einer gefragten Gesellschaftsdame entwickelt, begehrt von den Jünglingen der jeweiligen Saison. Während dieser Zeit war Miranda damit beschäftigt, ihrer Mutter bei der Führung des Haushalts zu helfen und Bälle, Hauskonzerte, Abendempfänge und Picknicks zu organisieren. Häufig wurde sie von Damen und Herren gleichermaßen für ihre Anmut beim Tanzen und ihr Klavierspiel bewundert. Und ebenso häufig konnte man die Bemerkung hören, dass sie mit ihrem freundlichen Wesen, ihrer ausgezeichneten Erziehung und atemberaubenden Schönheit eine hervorragende Ehefrau abgeben würde.

„Heute hätte deine Verlobung in der Zeitung stehen sollen!“, zeterte ihre Mutter mit schriller Stimme.

„Mama“, sagte Miranda und stand auf. Ihr Herz klopfte vor Aufregung, denn sie war es nicht gewohnt, ihrer Mutter zu widersprechen. Doch die Lage war unerträglich geworden, und die Veranstaltungen der Saison machten ihr nicht mehr den geringsten Spaß. Bisher hatte sich Miranda immer sehr auf die aufregenden Festlichkeiten und die Tänze mit den diversen Heiratskandidaten gefreut. Von den luxuriösen Bällen war sie ebenso fasziniert gewesen wie von den Picknicks, Kutschfahrten und den Spaziergängen und Flirts mit ihren jeweiligen Verehrern. Doch mittlerweile krampfte sich ihr Magen zusammen, wenn sie nur an die kommende Saison und den damit verbundenen Heiratsmarkt dachte. „Wenn ich eine solche Enttäuschung für dich bin, warum schickst du mich dann nicht zu Großmama aufs Land?“

Das wäre ihr wesentlich lieber gewesen als das ständige Drängen ihrer Mutter, sich irgendeinen passenden Ehemann zu suchen. Das beschauliche Landleben sagte ihr wesentlich mehr zu als die Partys während der „kleinen Saison“ im Herbst. In Lincolnshire konnte sie lange Spaziergänge machen, im Waisenhaus vorbeischauen, das ihre Großmutter unterstützte, und vielleicht hin und wieder einen Dorfball besuchen. Doch vor allem hätte sie die Freiheit und Muße, darüber nachzudenken, was sie selbst vom Leben erwartete, und nicht, was ihre Mutter für sie vorgesehen hatte.

„In dieser Saison hast du meine Nerven arg strapaziert. Und dann musstest du gestern Abend auch noch mit Mr. Brandon tanzen! Was sollte diese Dummheit?“

Seufzend strich sich Miranda eine lose Haarsträhne hinter das Ohr. „Er ist sehr charmant und liebenswürdig, Mama. Und nicht ohne Verbindungen. Schließlich ist er der jüngere Bruder eines Viscounts.“ Außerdem hatte er so ernst und unsicher gewirkt, als er sie um den Tanz bat, dass sie nicht das Herz gehabt hatte, ihn abzuweisen. Es hatte ihr großen Spaß gemacht, die Quadrille und Polka mit Mr. Brandon zu tanzen.

Mit einem gefährlichen Funkeln in den Augen kam die Countess näher. „Wenn er dich noch einmal auffordert, wirst du gefälligst höflich ablehnen. Er ist nicht die Art von Mann, die eine vornehme und anständige junge Dame wie du auch nur im geringsten ermutigen sollte. Nicht einmal, wenn es nur um einen Tanz geht!“

Ihr ganzes Leben lang hatte man Miranda eingetrichtert, welche Art von Mann sie einmal heiraten sollte. Einen Prinzen. Einen Duke. Vielleicht noch einen Marquess, wenn er reich und begütert war. Um den Charakter des Mannes war es niemals gegangen, und traurig stellte Miranda fest, dass er für ihre Mutter ebenso wenig zählte wie für die meisten Mitglieder der Gesellschaft. Zugleich wurde ihr klar, dass die Männer, die ihr den Hof machten, sich gar nicht für sie persönlich interessierten. Ihnen ging es nur um ihre Schönheit, ihre Beziehungen und ihre Mitgift.

Ihre Mutter schniefte, als müsste sie die Tränen zurückhalten. „Den ganzen Tag über haben dein Vater und ich verzweifelt überlegt, was wir mit dir anfangen sollen. Du bist zweiundzwanzig, Miranda. Du solltest eigentlich schon deinen eigenen Haushalt führen. Mit achtzehn war ich bereits mit deinem Bruder schwanger.“

„Bitte, Mama, könnten wir nicht den Rest unseres Aufenthalts in London genießen, ohne darüber zu debattieren, wen ich mir angeln sollte?“

Ihre Mutter erstarrte, als könnte sie die Vorstellung nicht ertragen. „Für diese Saison haben wir fest mit einem Antrag gerechnet. Nächste Woche sind alle wieder auf ihren Landsitzen, und die Gelegenheit ist bis nächstes Jahr vertan. Ich habe mir solche Mühe gegeben, eine passende Partie für dich zu finden, doch du hast mir meinen Erfolg mutwillig zunichte gemacht.“

Mit ihrem Erfolg meinte die Countess den Duke of Carlyle, den Mann, der vor einigen Monaten Mirandas Freundin Pippa geheiratet hatte. Es war eine ebenso seltene wie wunderbare Liebesheirat gewesen. Zuvor hatte Mirandas Mutter eine verhängnisvolle List ersonnen, um dem Duke of Carlyle eine Falle zu stellen, und Miranda war dumm genug gewesen, den Plan in die Tat umzusetzen. Ihre Mutter wollte unbedingt einen Duke zum Schwiegersohn, und Miranda wollte eine Duchess werden. Also hatte sie sich vor einigen Monaten während einer Hausparty in das Zimmer des Mannes geschlichen, um ihn in eine kompromittierende Situation zu bringen. Um seine Ehre zu retten, wäre er gezwungen gewesen, sie zu heiraten.

Die Erinnerung daran erfüllte Miranda noch immer mit tiefer Scham, und sie hatte das Gefühl, seitdem um Jahre gealtert zu sein. Früher einmal hatte sie es für eine Selbstverständlichkeit gehalten, dass ein Mann sie nur anzusehen brauchte, um sich unsterblich in sie zu verlieben, und dass ihr Lächeln genügte, um ihn an sie zu fesseln. Sie hatte sich zu sehr auf ihre Schönheit verlassen und dabei ihre Ehre und ihre Vernunft schändlich vernachlässigt. „Ich möchte nicht an Lady Peregrines Hausparty teilnehmen, Mama. Darf ich stattdessen zu Großmutter fahren?“

Die Augen ihrer Mutter wurden schmal. „Das ist unsere letzte Veranstaltung, bevor wir uns mit deinem Vater aufs Land zurückziehen. Ich weiß aus sicherer Quelle, dass Lord Blythe auch dort sein wird, und ich erwarte, dass er dir am Ende der Party einen Antrag macht, junge Dame.“

„Und diesen Antrag muss ich unbedingt annehmen, nicht wahr?“, fragte Miranda in bissigem Ton, das Herz erfüllt von Schmerz und Zorn. „Wusstest du, dass ich vor ein paar Monaten dumm und leichtsinnig genug war, deinem Rat zu folgen und zu versuchen, den Duke of Carlyle zu kompromittieren, Mama? Auf Lady Burrells Gartenparty habe ich mich in sein Zimmer geschlichen … nur mit meinem Morgenrock bekleidet.“

Ihre Mutter blickte sie bestürzt an und kam mit unsicheren Schritten auf sie zu. „Und er hat dir keinen Antrag gemacht? Wie unverschämt und ehrlos von ihm!“

Miranda, die spürte, wie sie Kopfschmerzen bekam, rieb sich die Schläfen.

„Mama, es war mein Benehmen, das unverschämt war. Er hätte mich achtkantig rauswerfen sollen! Stattdessen hat er sich wie ein Gentleman benommen und ist gegangen. Und weil ich mich so für mein Versagen schämte, sagte ich meiner lieben Freundin nicht die Wahrheit, worauf sie eine Pressekampagne gegen den Duke startete, obwohl er völlig unschuldig war. Seitdem sind mir die Augen aufgegangen. Ich schäme mich zutiefst, und mein Herz ist vor Reue ganz schwer.“

Ihre Mutter betrachtete sie einige Sekunden lang. „Du bist einfach zu hart mit dir selbst, meine Liebe. Ich habe eigentlich erwartet, dass du dir in dieser Saison den Duke angelst. Jetzt müssen wir alle mit der Enttäuschung fertigwerden, und es bringt nichts, darüber zu reden, was auf dieser Gartenparty geschah. Wir werden uns jetzt erholen und uns nach besten Kräften auf die nächste Saison vorbereiten. Ich setze wirklich große Hoffnungen auf Lord Blythe. Er besitzt zwar nicht den Titel, den wir uns für dich vorgestellt haben, doch er verfügt über große Ländereien und ist sehr reich. Und jetzt geh schnell auf dein Zimmer und bereite dich auf unsere Reise morgen früh vor.“

Ein Mädchen von deiner erstaunlichen Schönheit darf nur einen Prinzen heiraten … oder einen Duke … Daran lasse ich nicht rütteln! Diese Worte hatte sie immer wieder gehört, seit sie ein zwölfjähriges Mädchen in der Schulstube war. Früher einmal hatten die Worte sie mit Stolz erfüllt und ihr den Kopf verdreht. Doch jetzt fühlte sie sich dabei ganz elend, und ihre Kehle brannte vor ungeweinten Tränen.

„Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest, Mama.“ Damit verließ Miranda den Salon, doch anstatt nach oben zu gehen, holte sie ihren Umhang und ihre Haube, bestieg die Kutsche, die sie schon zuvor hatte vorfahren lassen, und machte sich auf den Weg zum Stadthaus des Dukes und der Duchess of Carlyle.

Am Portman Square angekommen nahm Miranda all ihren Mut zusammen und klopfte an die große Eichentür. Als der Butler öffnete, bat sie darum, sie zu seiner Herrschaft zu führen. Er ließ sie eintreten und ging voraus zum Salon, wo ein munteres Feuer im Kamin flackerte. Sie versuchte, ihre Gedanken zu sammeln und zu überlegen, was sie Pippa und dem Duke sagen sollte. Doch die Worte wollten nicht kommen. Das einzige, was sie empfand, waren ein schreckliches Gefühl der Reue und die Tränen, die ihr in der Kehle brannten.

„Miranda!“

Sie wirbelte herum, als sie ihren Namen hörte, und sah eine strahlende Pippa ins Zimmer treten. Miranda erschrak, als Pippa sie herzlich umarmte; dann begann sie zu schluchzen. „Ach, Pippa, ich schäme mich so schrecklich für mein Verhalten. Ich habe dir Unrecht getan, und das tut mir so leid!“

„Sei ganz ruhig“, erwiderte Pippa gerührt. „Ich bedauere, dass ich mich nicht mit dir versöhnt habe, bevor ich auf Reisen ging. Du hast mich um Verzeihung gebeten, doch ich wollte nichts davon wissen. Komm, setzen wir uns und reden.“ Die Duchess hakte Miranda unter und führte sie zu dem Sofa, das dem Feuer am nächsten stand. Die Wärme drang Miranda bis auf die Knochen und lockerte ihre noch immer angespannten Muskeln.

Als sie ein Geräusch hörte, blickte sie auf und sah, dass der Duke das Zimmer betreten hatte. Vor Scham wurde Miranda feuerrot. Schließlich hatte sie sich in das Zimmer dieses Mannes geschlichen und ihren Morgenrock vor seinen Augen fallen lassen. Es war sehr dunkel in dem Zimmer gewesen, und sie war sich nicht sicher, ob er sie überhaupt erkannt hatte, doch bei der bloßen Erinnerung daran hätte sie vor Verlegenheit sterben können. Sie erhob sich. „Durchlaucht, es tut mir schrecklich leid.“

Mit freundlichem Lächeln winkte er ab. „Das ist alles Vergangenheit, Lady Miranda. Es ist mehr als fünf Monate her, wenn ich mich recht entsinne. Ich sollte es wahrscheinlich nicht sagen, aber ohne Ihren kuriosen Einfall hätte meine liebste Pippa mich nicht zur Zielscheibe ihrer Listen und Ränke gemacht, und ich hätte vielleicht nie meine große Liebe gefunden. Also sollte ich Ihnen dankbar sein, nicht wahr?“

Miranda lachte unsicher. „Sie sind beide sehr großherzig, und dafür danke ich Ihnen.“

Eine große Erleichterung erfüllte sie bis in den letzten Winkel ihrer Seele. Der Duke blieb noch einige Minuten, um mit ihr zu plaudern, bevor er sich empfahl. Miranda wandte sich an Pippa: „Du strahlst ja wirklich vor Glück, Pippa. Darüber bin ich so froh.“

Die Freundin drückte ihr die Hand. „Ich hoffe so sehr, dass du bald ebenso glücklich wirst. Mit deiner außergewöhnlichen Schönheit und Selbstsicherheit kann es ja nicht lange dauern, bis –“

Miranda zog ihre Hand weg. „Glaubst du denn auch, dass ein Mann sich nur wegen meiner Schönheit für mich interessiert?“, rief sie. „Ach, Pippa, das will ich aber nicht! Der Mann, den ich heiraten möchte, sollte tiefer sehen und erkennen, wer ich wirklich bin. Dabei weiß ich das selbst nicht genau, Pippa. Aber eines weiß ich: Ich will nur einen Mann heiraten, den ich liebe und der mich ebenso leidenschaftlich liebt. Ich möchte meine Ängste und Träume mit ihm teilen und wenn es sein muss auch meine Enttäuschungen. In seinen Armen möchte ich immer Trost finden. Ist es denn dumm von mir, so etwas zu wünschen?“

Pippa lächelte mild. „Ach, Miranda, es ist doch nun mal eine Tatsache, dass du schön bist. Wenn du einen Raum betrittst, starren dich die Männer begehrlich an, während die Damen vor Neid eine finstere Miene machen und viele Mütter Angst haben, du könntest ihre Töchter ausstechen. In jeder Saison bekommst du eine Menge Anträge, die deine Mutter allesamt ablehnt. Ein Mann wird zwangsläufig zuerst deine Schönheit bemerken, aber wenn er etwas taugt, wird er unbedingt wissen wollen, was für ein leidenschaftliches Herz in diesem Körper schlägt. Und falls er das Glück hat, dass du sein Interesse erwiderst, wird er erkennen, wie freundlich und mitfühlend du bist. Wie spaßig und humorvoll du sein kannst, und wie sehr du Kunst und Musik liebst. Und dann, da bin ich mir sicher, wird er sich in dich verlieben.“

Miranda drückte ihre Freundin ganz fest. „Danke, Pippa. Diese Worte habe ich so sehr gebraucht.“

„Ich habe dich vermisst“, sagte Pippa leise und erwiderte die Umarmung. „Mir fehlen unsere langen Spaziergänge und Gespräche. Lass uns schwören, dass nie wieder etwas zwischen uns kommen soll.“

„Das schwöre ich“, sagte Miranda.

Eine knappe Stunde später machte sie sich auf den Heimweg, das Herz erfüllt von neuen, noch ein wenig unsicheren Vorsätzen. Seit dem Alter von zwölf Jahren war sie erbarmungslos darauf getrimmt worden, als gute Ehefrau einen Haushalt zu führen und wohltätige Organisationen zu unterstützen. Bei den meisten Eheleuten, die sie während der Saisons beobachtet hatte, war ihr aufgefallen, wie kalt und unpersönlich sie miteinander umgingen. Ladys und Lords gingen häufig Liebschaften ein, um ihrer inneren Einsamkeit zu entkommen. Eine solche Beziehung hätte sie nie ertragen können, und daher war sie nicht länger bereit, einen Mann nur wegen seines Geldes und Titels zu heiraten, ohne dass Liebe im Spiel war.

Miranda wollte unbedingt ihren Platz in der Welt finden, den nicht unbedingt ihre Mutter für sie bestimmte. Dabei hätte sie durchaus gerne ihren eigenen Prinzen gehabt, einen Mann, der sie ebenso sehr liebte wie sie ihn und mit dem sie glücklich wäre. Zum ersten Mal seit ihrem Debüt vor vier Jahren schwor sich Miranda, nur einen Mann zu heiraten, den sie liebte und der sie wiederliebte.

Als nächster Kandidat, den ihre Mutter für sie ausgesucht hatte, stand der Marquess of Blythe an. Er war so gut gestellt, dass jede Debütantin, die er mit seiner Gunst beehrte, ihm vor Dankbarkeit zu Füßen gefallen wäre. Es herrschte allgemein die Auffassung, dass man angesichts seines enormen Reichtums und seiner Verbindungen zu den höchsten Kreisen über sein Alter von fünfundfünfzig Jahren hinwegsehen konnte. Das erwartete auch Mirandas Mutter von ihr, da sie gar nicht auf die Idee kam, dass ihre Tochter sich eine Heirat aus Liebe wünschte.

Von nun an wollte Miranda selbst bestimmen, mit welchem Mann sie spazieren ging, auf Bällen tanzte und wen sie anhimmelte. Keine Angst, Mama, ich werde schon darauf achten, dass er ein Prinz ist … oder ein Duke! So konnte sie die Erwartungen ihrer Familie erfüllen und dennoch ihrem Herzen treu bleiben.