Leseprobe Ein Inselhotel zum Verlieben

1

Er ist verschwunden! Hatte sie einfach im Stich gelassen. Was für eine surreale Situation. So etwas passierte doch nicht wirklich. Und falls doch, dann einer Bekannten der Bekannten. Hatte er das von langer Hand geplant, oder war es eine Kurzschlussreaktion? Konnte man noch von Kurzschlussreaktion sprechen, wenn jemand von einem Tag auf den anderen seinen Koffer packte und aus dem Leben floh, das man sich mit der Partnerin zusammen aufgebaut hatte? Wobei – zusammen aufgebaut? Caro schnaubte verächtlich. Zusammen hatten sie das hier nicht wirklich aufgebaut, und ob sie überhaupt von ‚aufgebaut‘ sprechen konnte?

Sie sah sich um, machte ein paar Schritte vor, dann wieder zurück. Hoffte, sich vorstellen zu können, wie das hier einmal aussehen würde. Sich zu sagen, dass dieser Tag käme. Dass auch Daniels Verschwinden daran nichts ändern würde.

Aber ihre Gedanken fielen auf ausgedörrten Boden. Zu lange nichts als Hiobsbotschaften. Der Umbau, im Grunde eine Kernsanierung, der sich immer weiter verzögerte, neue Schäden und Probleme zutage förderte, die zudem die Kosten steigen ließen. Und das, obwohl ihr Budget bereits ausgereizt war. Wie viele schlaflose Nächte noch, bis es endlich Formen annimmt, fragte sie sich.

Sie drehte sich um und betrachtete den Bereich, wo die Rezeption entstehen sollte. Bis auf Kabel, die aus der Decke hingen und aus dem Boden ragten, war davon nicht viel zu erkennen. Und dennoch, Caro spürte das Kribbeln in der Magengrube. Das Gefühl, das sie diese Entscheidung hatte treffen lassen. Eine große Entscheidung. Ihren Traum zu leben.

War dieser Traum zu groß für sie? Hatte sie sich verkalkuliert? War alles zum Scheitern verurteilt?

Die Tränen brannten in ihren Augen, und dennoch war sie froh, sie endlich zu spüren. Hoffte, sie brächten ein wenig Erleichterung. Nähmen ihr zumindest wenige Gramm der tonnenschweren Last, die auf ihren Schultern lastete. Aber die Tränen spülten die Trauer, die Erschöpfung und besonders die Verzweiflung nicht fort, sie brannte in ihrer Brust, kleidete ihre Kehle aus und ließ sie schluchzend zusammenfahren. Nein, es wurde nicht besser, es wurde schlimmer. Zwar war sie von Anfang an diejenige gewesen, die alles organisiert hatte, auf deren Namen der Kredit lief, die die Verträge unterschrieben hatte, aber mit Daniel an ihrer Seite war es dennoch leichter gewesen. Hatte sie jeden Rückschlag besser verkraftet. Seine unbekümmerte Art. Sein scheinbar unerschütterlicher Glaube in sie und ihre Vision hatten sie stets neue Kraft schöpfen lassen. Hatte er ihr nur etwas vorgemacht? Nicht nur in dem Punkt, dass er sie geliebt hatte, sondern auch darin, an sie und ihren Traum zu glauben? Das war mehr, als Caro ertragen konnte. Sie ging in die Knie. Plötzlich schienen ihre Beine die Kraft verloren zu haben. Sie barg das Gesicht in den Unterarmen und weinte.

Irgendwann konnte sie aufstehen. Taumelte den Flur entlang, der in den Teil des Gebäudes mit den Gästezimmern führte. Auch dieser Bereich war kaum mehr als ein Rohbau. Sie hatten sich dort ein Zimmer notdürftig herrichten lassen, inklusive Bad, um keine weiteren Kosten für ein angemietetes Zimmer zu haben. Aber eine Unterkunft auf einer Baustelle ließ einen nicht zur Ruhe kommen. Alles war provisorisch, überall lag Staub. Lärm malträtierte die Ohren, weil die Arbeiten meistens bis spät in die Nacht andauerten.

Oder vielmehr, angedauert hatten. Als Caro noch die Illusion hatte, zum Stichtag fertig zu werden. Der wäre in zwei Wochen.

Sie ließ sich auf das Luftbett fallen und den Blick durch den Raum schweifen. Dass sie überhaupt bemerkt hatte, dass Daniel weg war, erschien bemerkenswert, zeigte jedoch, dass sie mit nur wenig Hab und Gut her gekommen waren. Es war seine Winterjacke gewesen, deren Fehlen sie hatte stutzen lassen. Natürlich wurde es in den Wintermonaten auch auf Mallorca kühler, aber einen dicken Wintermantel, wie Daniel ihn mitgebracht hatte, benötigte man selten. Sie hatte ihn deshalb aufgezogen, und der Mantel hing wochenlang ungenutzt im Schrank. Bis heute Abend, als sie zurückgekehrt war von einem langen Gespräch mit der Bank, von der sie den Kredit erhalten hatte und die sie gebeten hatte, diesen aufzustocken. Ohne Erfolg.

Sie kehrte heim, und Daniel war nicht da. Soweit nichts Ungewöhnliches, sie mutmaßte, dass er joggen gegangen war. Als sie aber gesehen hatte, dass seine Winterjacke fehlte, begann sie die Spurensuche, hatte den fehlenden Koffer bemerkt und weitere fehlende Kleidungsstücke. Er ging nicht ans Handy. Sie hatte es unzählige Male versucht. Ihm einige Nachrichten auf der Mailbox hinterlassen, erst besorgt, dann zornig, dann traurig, zuletzt ein paar, auf denen sie nur geheult und gestammelt hatte. Sie hätte zum Flughafen fahren können. Aber was hätte das gebracht? Sie war den halben Tag fort gewesen. Gut möglich, dass er schon längst wieder auf deutschem Boden wandelte. Wer jedoch sagte ihr, dass er nach Deutschland gereist war? Womöglich hatte er sich irgendwo anders hin abgesetzt.

Es spielte keine Rolle, wohin, Caro hoffte, dass es ein furchtbarer Ort war und es Daniel beschissen ging. Doch im gleichen Augenblick schämte sie sich ihrer Gedanken. Und wenn ihm etwas zugestoßen war? Aber was konnte ihm zugestoßen sein, das ausreichend Zeit ließ, um den Koffer mit den wichtigsten Sachen zu packen? Und warum hatte er ihr keine Nachricht hinterlassen, sie angerufen oder nahm zumindest ihre Anrufe entgegen?

Nein, es war bitter und eine dieser Geschichten, in der der Mann Zigaretten holen ging und nicht mehr zurückkehrte. Caro befürchtete, dass dieser Gedanke zu neuen Tränen führen würde, aber die Trauer blieb dumpf. Sie ließ den Oberkörper nach hinten kippen und schloss die Augen. Sie hoffte, sie würde in den Schlaf finden. Den benötigte sie dringend. Und dann musste sie unbedingt schauen, dass die Baustelle weiter vorankam. Caro wusste, dass sie eine Kämpferin war, und sie würde um ihren Traum kämpfen.

2

Dass ihr erster Blick am Morgen dem Handydisplay galt, ärgerte Caro. Gerne hätte sie sich damit herausgeredet, dass das ihre Morgenroutine war, aber natürlich stimmte das nicht. Sie hatte auf eine Nachricht von Daniel gehofft, so wie die ganze Nacht, die sie eher dämmernd als schlafend verbracht und auf seinen Anruf gewartet hatte. Wie würde sie reagieren, wenn er sich meldete, ihr eine Begründung nannte, die sein Handeln plausibel erklärte? Würde sie ihn mit offenen Armen empfangen?

Sie wusste, dass Daniel etwas in ihr triggerte, das sie nachgeben ließ, aber nicht verzeihen. Dass sie der leidende Blick aus seinen braunen Augen stets dazu brachte, anders zu handeln, Dinge hinzunehmen, die sie normalerweise nicht tolerierte. Weil sie ihn halten wollte, war sie bereit, bei sich selbst zurückzustecken, nur nicht bei ihrem Traum.

Das hatte Daniel gewusst und war zudem kein Risiko eingegangen, als er einwilligte, mit auszuwandern. Mit seinem Betrieb war er pleite gegangen, hatte immer noch Schulden und war daher nicht kreditwürdig. Caro hatte das Projekt alleine stemmen müssen. Fand eine spanische Bank, die an sie und ihre Vision glaubte, denn wenn Caro für etwas brannte, konnte sie dieses Feuer in anderen Menschen entfachen. Deshalb war es ihr nie schwergefallen, Leute von sich und ihren Ideen zu überzeugen. Dass ihr das auch bei der Bank in einem anderen Land gelungen war, erfüllte sie mit Stolz.

Caro streckte sich, hüpfte ein paar Mal auf der Stelle, wie sie es häufig morgens tat, um in Gang zu kommen. Insbesondere dann, wenn sie am Morgen trübe Gedanken niederdrückten. So schwer es ihr fiel, sie musste Daniel aus ihrem Kopf verdrängen, sich intensiv auf die Arbeit konzentrieren und Juan, ihren Bauleiter, anrufen.

Sie wusste, dass er alles tat, um die Baustelle am Laufen zu halten, aber viele der Firmen konnten sich vor Aufträgen nicht retten und ließen die unlukrativeren Projekte gerne zu Gunsten der monetär interessanteren schleifen.

Am meisten graute ihr davor, den Reiseveranstalter zu kontaktieren, der in zwei Wochen einen funktionierenden Hotelbetrieb erwartete und schon Buchungen angenommen hatte. Dass sie dieses Gespräch so lange herausgeschoben hatte, sah ihr gar nicht ähnlich, aber sie hatte nicht nur den Konflikt gescheut, sondern die ganze Zeit auf ein kleines Wunder gewartet. Sie hoffte inständig, dass sie Herrn Mars vom Reiseveranstalter Nockemann würde besänftigen können. Schließlich war es nicht nur eine riesige Chance, sondern unverzichtbar, wenn sie direkt mit einem vollausgebuchten Hotel würde starten können.

Sie entschied, schon vor der Dusche zu beginnen und wählte Juans Kontakt.

Es klingelte nur einmal, dann hörte sie seine raue Stimme: „Hola. Caro?“

Caro gefiel der Klang wie Juan insgesamt. Ein Mann, der mit beiden Beinen im Leben stand, der wusste, was er wollte und dafür einstand. So hatte sie ihn erlebt. Anders als Daniel, der immer den einfachsten Weg suchte und die Angelegenheiten zu seinem Vorteil bog.

Caro schüttelte den Kopf, als würde dadurch der Gedanke an Daniel hinausfallen. „Ja, ich bin’s, Juan. Guten Morgen.“

„Du willst sicherlich wissen, wie es weitergeht?“ Juan war in Deutschland geboren und aufgewachsen, dann aber vor zwanzig Jahren mit seinen Eltern in deren sonnige Heimat zurückgekehrt. Ob mit Familie oder nicht, war Caro nicht bekannt.

„Unbedingt. Wie du weißt, rennt mir die Zeit davon.“

„Das weiß ich, Caro. Und du weißt, dass ich alles versuche, um die Deadline einzuhalten.“

„Hältst du das noch für realistisch?“

„Es ist ein straffer Zeitplan, aber ich lasse dich nicht hängen. Wir werden das schon schaffen. Ich bin noch mal meine Kontakte durchgegangen und habe die ein oder andere Alternative.“

„Das hört sich zwar gut an“, begann Caro und schloss die Augen. Sie wusste nicht, wie sie fortfahren sollte. Sie hatte Juan gegenüber zwar durchblicken lassen, dass sie wenig finanziellen Spielraum hatte, aber das Thema war bislang nicht offen angesprochen worden. Wenn jedoch neue Firmen ins Spiel kamen, konnte das womöglich steigende Kosten bedeuten.

„Mach dir keine Sorgen wegen des Geldes“, sagte Juan, als habe er ihre Gedanken gelesen.

„Das würde ich gerne.“ Caro kaute auf ihrer Unterlippe, entschied sich dann, ehrlich zu sein. „Juan, meine Situation ist sehr angespannt. Ich habe dir den weitaus größten Teil meines Budgets bereits als Vorschuss bezahlt, für Arbeiten, die noch nicht erledigt sind. Die Bank wird meinen Kreditrahmen nicht erhöhen. Ich …“ Sie rieb sich die Augen. Neue Tränen kündigten sich an.

„Caro. Das weiß ich, oder vielmehr habe ich das schon geahnt. Ich habe dir zugesagt, dass die Arbeiten im zeitlichen Rahmen erledigt und gut ausgeführt werden. Und ich habe auch die Kosten im Blick.“

„Aber wenn jetzt andere Firmen als die, die die Vorschüsse erhalten haben …“ Wieder musste sie abbrechen, schlucken.

„Ich habe keine der Firmen im Voraus bezahlt. Ich verwalte nur gerne die Gelder, um flexibel zu sein. Die Firmen, die rausfliegen, haben nur das Geld für die erledigten Arbeiten bekommen. Von deinen Vorschüssen ist noch ausreichend da, um andere Firmen zu bezahlen.“

Jetzt liefen Tränen Caros Wangen herunter. Nicht der Trauer oder Verzweiflung, sondern der Erleichterung. Irgendwie hatte sie das geahnt, gewusst, dass Juan, bei dem sie von Anfang an ein so gutes Gefühl gehabt hatte, die Sache im Blick hatte. Aber als die Baustelle ins Stocken geriet, waren ihr Zweifel gekommen. Dennoch hatte sie das Thema Juan gegenüber nicht angesprochen, da sie zu feige gewesen war. Sie nahm sich vor, das zu ändern. Besonders Juan gegenüber mit offenen Karten zu spielen und klare Ansagen zu machen. Er hatte sie stets darum gebeten.

„Caro? Weinst du?“

Die ehrliche Betroffenheit in Juans Stimme schmeichelte ihr. „Es ist nur – ich bin einfach erleichtert.“

„Ich habe dir gesagt, dass du dich auf mich verlassen kannst. Ich wollte ohnehin heute zu dir auf die Baustelle kommen und könnte auch gleich ein paar Termine mit Firmen vereinbaren. Was hältst du davon?“

„Hört sich super an!“

3

Sie liebte diesen Blick! Der Strand, der sich mit leichtem Schwung in die Bucht schmiegte, und rechts von der Felsenküste, links vom kleinen Hafen eingefasst wurde. Wenn sich die Sonne wie jetzt langsam über die weiche Kante, die das Meer am Horizont bildete, erhob und die Bucht in ein goldenes Licht tauchte, waren dies die Momente, da ihr Herz übersprudelte vor Glück. In denen ihr bewusst wurde, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte, dass dies der Ort war, an dem sie ihr Leben verbringen wollte und dieser Traum wert war, dafür zu kämpfen.

Juan hatte sie mit seiner Zuversicht angesteckt. Sie vertraute dem attraktiven Bauleiter mit dem grau melierten Haar, Dreitagebart und der sportlich muskulösen Figur. Mehr als einmal hatte sie ihn fragen wollen, ob er verheiratet war oder eine Freundin hatte, sich aber nicht getraut. Wohl, da sie insgeheim befürchtete, dass ein ‚Nein‘ auf diese Fragen eine Begierde in ihr nährte, die bereits erwachte.

‚Reiß dich zusammen!‘, herrschte sie sich selbst an. Nach dem, was sie gerade erlebt hatte, war nicht die Zeit, an neue Liebschaften zu denken. Obwohl die Vorstellung, einen Partner wie Juan zu haben, der verlässlich war und sich einsetzte, durchaus verlockend erschien.

Der silberne Toyota Prius fuhr vor und entließ Juan, der mit einem strahlenden Lächeln auf sie zukam. Caro konnte nicht anders, als zurückzulächeln. Während andere Kerle in der Baubranche meistens auf Statussymbole setzten, dicke Autos bevorzugten, fuhr Juan einen Hybrid. Ein Mann mit einem Bewusstsein für die Umwelt. Ein weiterer Pluspunkt, den Caro für ihn verbuchte.

„Schön, dass du da bist“, sagte sie und war von sich selbst überrascht, dass sie Juan umarmte.

Der erwiderte ihre ungewohnt herzliche Willkommensgeste mit einem Lächeln, das Caros Meinung nach Gefallen ausdrückte und dazu führte, dass sie sich nicht schämte, sondern sogar freute, sich ihrem ehrlichen Gefühl hingegeben zu haben.

„Und ich bringe sehr gute Nachrichten mit.“ Er hörte nicht auf zu grinsen, und Caro spürte ein Ziehen im Bauch. Schon lag ihr wieder die Frage nach Juans Beziehungsstatus auf der Zunge, die sie aber schnell herunterschluckte. „Ich habe Diego, einen Freund und Kollegen, erreicht, und rate mal, welche Baustelle er ab morgen mit seinen Leuten richtig auf Vordermann bringen wird?“

Juans Lächeln war ansteckend, und eh Caro sich versah, fiel sie ihm ein weiteres Mal um den Hals. „Und du meinst, Diego und seine Leute werden fertig bis zur Eröffnung in zwei Wochen?“

„Diego hat ein tolles Team und mir schon einige Male bei schwierigen Fällen aus der Patsche geholfen. Ich hätte ihn schon früher verpflichtet, aber er war total ausgebucht. Jemand da oben scheint dich zu mögen.“ Er zwinkerte Caro zu, was ihr eine warme Woge durch die Brust spülte. „Denn sein letzter Auftraggeber ist plötzlich pleitegegangen, und Diego ist mehr als dankbar, so kurzfristig einen Auftrag zu bekommen, der ihn auch finanziell auffängt.“

„Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll!“

Juan winkte ab. „Ich mag dich Caro, wirklich, und außerdem habe ich gewisse geschäftliche Grundsätze. Einer der obersten ist, dass ich meine Kunden nicht hängen lasse, auch wenn es schwierig wird.“

Caro nickte dankbar. Musste sie schon wieder heulen? Sie blinzelte bereits dagegen an und hoffte, die Tränen zurückhalten zu können. Es reichte, dass sie am Telefon geweint und ihn zweimal umarmt hatte. Was sollte er nur von ihr denken? Sie ertappte sich dabei, dass es ihr wichtig war, was Juan von ihr hielt.

„Was ist los mit dir?“

Juans Frage kam unvermittelt, und Caro haderte einen Augenblick mit sich selbst, ob sie ihm davon erzählen sollte. Aber einerseits hatte sie auf der Insel bisher kaum Bekanntschaften gemacht, und andererseits, was konnte schlimmstenfalls passieren. Irgendwann würde die Frage, wo Daniel war, ohnehin auftauchen. Auch wenn Juan und er von Anfang an ein schwieriges Verhältnis miteinander gehabt hatten.

Und so erzählte Caro von Daniels unvermitteltem Verschwinden und schämte sich nicht, als sie wieder die Tränen übermannten. Juan hörte zu, nickte nur verständnisvoll. „Soll ich ehrlich sein?“, fragte er, als sie mit ihrem Bericht durch war.

„Gerne.“

„Ich hatte von Anfang an ein komisches Gefühl bei dem Typen. Habe mich gefragt: Was will so eine Frau mit einem Windei wie dem?“

„So eine Frau?“

„Caro, das ist dir wahrscheinlich gar nicht bewusst, aber ich bewundere deinen Mut und nicht nur ich. Viele der Arbeiter, mit denen ich gesprochen habe, haben großen Respekt vor dir. Deiner Vision. Dem, was du aus diesem Ort machen möchtest und den Risiken, die du auf dich nimmst.“

Caro spürte Wärme in ihren Wangen und schlug den Blick nieder. „Das denkst du von mir?“

„Natürlich. Weißt du, ich nehme nicht jeden Auftrag an. Ich kann es mir durchaus leisten, wählerisch zu sein. Aber bei dir“, er sah ihr tief in die Augen, „habe ich sofort gespürt, dass du brennst für deine Idee, deinen Traum. Das hat mir imponiert, mich angesteckt und für dich eingenommen.“

Caro sah in Juans braune Augen und hatte das Gefühl, dass hinter der Bewunderung, die sie ausdrückten, noch mehr lag. Sie beugte sich leicht vor, ließ sich ein weiteres Mal von ihrem Gefühl leiten, als plötzlich Juans Handy klingelte.

„Entschuldigung“, murmelte er, zog das Handy aus der Gesäßtasche und sah auf das Display. „Wenn man vom Teufel spricht.“ Er nahm den Anruf entgegen und sagte: „Diego, mein Lieber. Gerade haben wir von dir gesprochen.“

Caro betrachtete Juan. Tiefes Bedauern ergriff sie, dass dieser Moment gestört wurde. Würde es wieder so einen Augenblick geben? Sie rieb sich die Augen, als ihr bewusst wurde, dass sie dankbar für die Unterbrechung sein konnte. Juan war ihr einziger Strohhalm, die Brücke in die Zukunft, die sie aufbaute. Nicht auszudenken, diese wertvolle Verbindung durch ein Tête-à-Tête zu gefährden.

„Diego ist in einer halben Stunde da, um sich ein Bild zu machen. Das passt dir doch?“

„Natürlich.“

4

Verrückt, dass unangenehme Geräusche unter gewissen Umständen wie Musik klingen, dachte Caro und musste grinsen, als sie am nächsten Morgen durch die Räume ging, die von arbeitenden Männern bevölkert wurden. Juan, Diego und sie hatten vereinbart, dass zunächst die Gästezimmer fertiggestellt wurden und der Eingangsbereich zuletzt, damit dieser als Transitbereich nicht in Gefahr geriet, schon vor Eröffnung verschandelt zu werden. Weder Diego noch Juan oder sie konnten ihre Augen überall haben, und selbst bei sorgfältiger Arbeitsweise ließen sich Kollateralschäden auf einer großen Baustelle nicht immer vermeiden.

Sie genoss das geschäftige Treiben und die positive Stimmung, die vorherrschte. Sie schätzte die Mallorquiner dafür, dass man diese selten schlecht gelaunt antraf. Selbst in Berufen, die in Deutschland als unangenehm galten, wie Müllabfuhr oder Reinigungskräfte, wirkten die darin Tätigen meist bestens gelaunt und mit sich und der Welt im Einklang.

„Dich habe ich gesucht.“ Juan kam lächelnd auf Caro zu.

„Mich?“, fragte sie betont entgeistert.

Juan lachte. „Allerdings. Ich denke, wir haben etwas entdeckt, das dir gefallen wird.“ Er bedeutete ihr, ihm zu folgen, und ging den Flur in Richtung der Gästezimmer entlang.

Im hintersten Raum angekommen, deutete er auf den Boden. „Schau dir das mal an.“

Caros Blick folgte dem Fingerzeig, und sie stieß einen Laut der Verzückung aus. „Ist das ein Mosaik?“

„Sieht ganz danach aus.“

„Könnt ihr es retten?“ Caro warf Juan einen scheuen Blick zu.

„Ich gehe davon aus.“ Juan grinste und klopfte Diego auf die Schulter. „Schließlich hast du jetzt fähige Arbeiter.“

„Ist ein schönes Anwesen.“ Diego lächelte ebenfalls. „Umso schöner, dass es jemandem gehört, der das zu schätzen weiß.“

„Das tue ich!“ Caro betrachtete erneut das Mosaik oder vielmehr den Teil, der bereits freigelegt war.

„Wir sind weiterhin vorsichtig. Wer weiß, was wir noch entdecken.“ Diego war in die Hocke gegangen und strich mit der Handfläche über die bunten Steine. Eine zärtliche Geste, die Caro anrührte.

Juan führte Caro in das Nachbarzimmer. „Du hattest sicherlich bereits Kontakt mit der Denkmalbehörde?“

„Ganz am Anfang. Bevor mit den Umbauarbeiten begonnen wurde.“ Caro rieb sich das Kinn und trat von einem Bein auf das andere.

„Mach dir keine Sorgen.“ Juan legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Dir ist ohnehin daran gelegen, den ursprünglichen Charakter der Finca zu erhalten. Das wird auch demjenigen schnell klar sein, der zur Begutachtung herkommt.“

Caro nickte. Dennoch ließ das nagende Gefühl in ihren Eingeweiden nicht nach, das ihr sagte, dass ein erneuter Kontakt mit der Denkmalschutzbehörde Ärger bedeutete.

„Außerdem“, Juan zwinkerte ihr zu, „kann es gut sein, dass du sogar Fördermittel beantragen kannst.“

„Tatsächlich?“

„Wie gesagt, der Erhalt ist den Behörden wichtig. Ich habe Kontakte, die ich mal anfragen werde.“

„Vielen Dank.“ Caro lächelte und wünschte sich den Augenblick des gestrigen Tages zurück, als sie und Juan knapp davor gewesen waren, einander näherzukommen. Oder hatte sie sich das nur eingebildet? Unabhängig davon – sollte sie sich nicht vielmehr fragen, ob sie mit einem neuen Mann etwas anfangen sollte, kaum dass sie von ihrem letzten im Stich gelassen wurde?

„Nicht dafür“, entgegnete Juan und riss Caro damit aus ihren Gedanken.

Erst mal Abstand gewinnen!, entschied sie und verließ das Zimmer. Zugegebenermaßen war ihre Reaktion auf den attraktiven Mallorquiner nichts Neues. Zuvor, unter der Maßgabe Daniels Partnerin zu sein, hatte sie die Begeisterung, welche sie Juan gegenüber empfand, nicht zulassen wollen. Tief durchatmen und auf das Wesentliche konzentrieren, riet sie sich. Ein Ausspruch ihrer Mutter, den sie von jener bereits in Kindertagen gehört hatte.

Sie betrat ihr Schlafzimmer in dem Moment, als der Signalton den Eingang einer Textnachricht verkündete. Von wem die stammte, wusste Caro noch bevor sie einen Blick auf das Display warf: Daniel.

Dieses Mal half der Rat, durchzuatmen nicht. Ebenso wenig die Stimme, die ihr riet, die Message nicht zu lesen. Ihr Daumen tippte auf das Display, woraufhin ihre Augen die Worte abfuhren:

Liebe Caro!
Sicherlich machst Du Dir Sorgen und bist überrascht, dass ich so plötzlich fort bin. Das war nicht meine Absicht, doch ich wusste nicht, wie ich Dir alles erklären könnte. Ich habe eine Nachricht erhalten, wegen der ich zurück nach Deutschland musste. Ich werde Dir alles genauer erläutern, wenn ich klarer sehe.
Es tut mir leid!
Daniel

Das Handy in der Hand stand Caro da. Las die wenigen Zeilen ein zweites, dann ein drittes Mal, während die Fassungslosigkeit durch die Hitze der aufwallenden Wut verdampfte. Hatte der Kerl sie noch alle? Welche Nachricht sollte ihn erreicht haben, dass er umgehend zurück nach Deutschland musste, und das vor allem nicht zuvor mit ihr besprechen konnte? Alles schrie nach einer faulen Ausrede, und die Frage des Warums drängte sich mehr in den Vordergrund als vor Daniels seltsamer Nachricht.

Was veranlasste jemanden, von jetzt auf gleich zu verschwinden? Und wieso meldete er sich überhaupt bei ihr?

Sie warf das Handy aufs Bett, als sei es mit einem Mal heiß und drohe, sie zu verbrennen. Mit der Faust schlug sie auf das Kopfkissen, auf dem bis vor einer Nacht noch sein Kopf geruht hatte. Wieder und wieder hieb sie darauf ein, während Tränen der Enttäuschung in ihren Augen brannten. „Was soll das, du verdammtes Arschloch?“, schluchzte sie. „Warum tust du mir das an?“

Das Gesicht in das Kissen bergend, heulte sie weiter und wünschte, sie erhielte eine Antwort auf diese quälende Frage: Warum hatte Daniel sie verlassen?