Leseprobe Ein Prinz auf Abwegen

Kapitel 1

Sonntag, 28. Oktober 1934

Clabon Mews, London SW 7

Das Wetter draußen: einfach grauenvoll! Das Wetter drinnen: gemütlich und warm. Ich würde zur Abwechslung das Leben genießen, wenn Darcy nicht schon wieder auf geheimer Mission wäre …

Warum treibt er mich so in den Wahnsinn?

Für Londoner Verhältnisse war es eine dunkle, stürmische Nacht. Mit den harschen Sturmböen der schottischen Highlands war es natürlich nicht zu vergleichen, aber es war doch stürmisch genug, dass ich froh darüber war, drinnen und in Sicherheit zu sein.

Regen prasselte gegen die Fenster und trommelte auf die Dachziegel, während der Wind wild im Kamin heulte. Auf Castle Rannoch, wo ich aufgewachsen war, hätte der Wind außerdem eisige Luftzüge durch die Flure geschickt und die Wandteppiche flatternd aufgebauscht, sodass es drinnen beinahe so ungemütlich wie draußen gewesen wäre. Aber in dieser Nacht lag ich gemütlich und warm eingepackt im Bett, lauschte dem Sturm und spürte große Dankbarkeit dafür, nicht auf Castle Rannoch zu sein. Stattdessen befand ich mich in dem Cottage in Knightsbridge, das meiner Freundin Belinda gehörte, und ich kostete jeden Moment davon aus.

Als ich Ende August aus Amerika zurückkehrte – nachdem meine Mutter mich dorthin geschleppt hatte, um sich in einer Blitzscheidung von einem ihrer Ehemänner zu trennen –, war Mummy unverzüglich weitergereist, wie üblich mit nichts als einer kurzen Verabschiedung. Seit jenem ersten Mal, als sie mich mit zwei Jahren verlassen hatte, ließ sie ihr einziges Kind mit monotoner Regelmäßigkeit sitzen, ohne kaum jemals einen Blick zurück zu werfen. Aber diesmal hatte sie immerhin einen Funken mütterlicher Gefühle gezeigt, von deren Existenz ich bislang nichts geahnt hatte. Als sie das Brown’s Hotel verließ, überreichte sie mir einen großzügigen Scheck. „Georgie, Liebling, du sollst wissen, dass du dich in Hollywood großartig gemacht hast“, sagte sie. „Ohne dich hätte ich an diesem barbarischen Ort nicht überlebt.“

Ich lief rosarot an und mir fehlten die Worte, da dies so gar nicht zu ihr passte. Ich brachte ein gemurmeltes „Allmächtiger, vielen herzlichen Dank“ heraus.

„Liebling, ich muss zurück nach Deutschland zu Max“, sagte sie und küsste mich auf die Wange. „Aber ich möchte nicht, dass du glaubst, ich würde dich vergessen. Du weißt, dass du jederzeit willkommen bist, wann immer du willst.“

„Danke, aber ich glaube nicht, dass mir Berlin gefallen würde“, sagte ich. „Nicht, seit dieser scheußliche kleine Hitler an der Macht ist. Zu viel Geschrei und Marschiererei.“

Sie stieß ihr glockenhelles Lachen aus, das schon auf der ganzen Welt das Theaterpublikum verzaubert hatte. „Oh, Liebling. Niemand nimmt ihn ernst. Ich meine, mit einem solchen Schnurrbart ist das unmöglich. Einmal küsste er meine Hand und es kam mir vor wie eine Begegnung mit einem Igel. Max sagt, er sei im Moment gut für die Moral der Deutschen, aber er wird nicht lange an der Macht bleiben.“

„Wie auch immer, ich würde lieber eine Weile im guten alten England bleiben“, sagte ich. „Die Zeit in Amerika war aufregend genug für mich.“

„Du willst doch nicht etwa nach Schottland zurückkehren?“, fragte sie.

„Ehrlich gesagt, nein“, erwiderte ich. „Auf Castle Rannoch bin ich im Moment nicht gerade willkommen und Belinda meinte, ich könnte ihre Londoner Wohnung benutzen, während sie in Hollywood ist“, fügte ich hinzu. „Und da du mir diesen Scheck gegeben hast, kann ich mich sogar eine Zeit lang sattessen.“

Ein besorgter Ausdruck huschte über ihre hübschen Züge. „Liebling, hat es Zeiten gegeben, in denen du dir kein Essen leisten konntest?“

„Unzählige Male. Einmal habe ich mich einen Monat lang nur von Tee und Baked Beans ernährt.“

„Wie ekelerregend. Georgie, glaub mir, wenn du etwas brauchst, musst du mich nur fragen. Max ist unanständig reich, weißt du. Ich bin mir sicher, dass ich ihn dazu bringen könnte, dir Unterhalt zu zahlen.“

„Mummy, ich kann nicht von Max’ Geld leben. Außerdem würde Großvater das nicht gutheißen. Nicht deutsches Geld. Du weißt, wie sehr Großvater das hassen würde, nachdem dein Bruder im Krieg getötet wurde.“

„Man muss lernen zu vergeben und zu vergessen, wie ich deinem Großvater immer sage. Und sobald wir verheiratet sind – nun, es wird auch mein Geld sein, nicht wahr?“ Sie hob aufgeregt ihre Hände. „Du musst uns zur Hochzeit besuchen! Du kannst meine Trauzeugin sein.“

„Du hast wirklich vor, ihn zu heiraten?“ Ich brachte es nicht über mich, ihr in die Augen zu sehen.

„Es ist mein Wunsch, also lautet die Antwort vermutlich ja. Wir werden es sehen, nicht wahr? Tja, wenn ich den Fährzug noch erreichen will, muss mich auf den Weg machen, Liebling. Pass auf dich auf und lass dich um Himmels willen bald von diesem umwerfenden Darcy verführen. Jungfräulichkeit ist nach dem zwanzigsten Geburtstag weder modisch noch akzeptabel.“

Mit diesen Worten wandte sie sich zum Gehen. Ich hatte Belindas kleines Cottage in den umgebauten Stallungen bezogen und es genossen, eine Weile lang eine Lady zu spielen, die dem Müßiggang frönte. Das Einzige, was mir zu meinem Glück fehlte, war Darcys Anwesenheit. Er war wieder einmal in geheimer Mission unterwegs und ich hatte keine Ahnung, wann er nach London zurückkehren würde oder wie ich ihn erreichen konnte. Es war wirklich ärgerlich mit ihm. Ich wusste, dass er meist nicht darüber sprechen durfte, was er tat (ich vermutete, dass er dann und wann sogar verdeckt für den MI5 arbeitete), aber es wäre nett gewesen, hin und wieder eine Postkarte aus Buenos Aires oder Kalkutta zu bekommen.

Ein besonders heftiger Windstoß rüttelte am Fensterrahmen. Ich zog die Decken hoch und rollte mich zu einer kleinen Kugel zusammen. Wie schön zu wissen, dass ich warm und sicher war. Das Geld, das Mummy mir gegeben hatte, würde nicht ewig reichen, aber ich hoffte, dass ich damit wenigstens bis nach Weihnachten über die Runden kommen würde. Wenn ich nur irgendeine Anstellung finden würde, könnte ich bis zu Belindas Rückkehr hier wohnen – und das konnte wer weiß wie lange dauern, wenn sie eine erfolgreiche Kostümbildnerin in Hollywood wurde. Aber für junge Frauen wie mich schien es keine Arbeit zu geben, da wir nur dafür ausgebildet waren, uns einen Ehemann zu angeln. Ich zog sogar in Erwägung, mich in der Weihnachtszeit auf eine befristete Stelle in einem der Kaufhäuser zu bewerben, aber ich fürchtete, dass das meinen Verwandten zu Ohren kommen und Ärger nach sich ziehen würde.

Ihr wundert euch, warum es meine Verwandten etwas anging, wenn ich bei Selfridges oder Gamages an der Kasse stehen würde? Ich sollte wohl erwähnen, dass es sich bei meinen Verwandten durchaus nicht um normale, gewöhnliche Leute handelte – sondern um das Königspaar. Königin Victoria war meine Urgroßmutter, daher war ich zur Hälfte von königlicher Herkunft und man erwartete von mir, mich so zu benehmen, wie es mein Stand verlangte – allerdings ohne die Mittel dafür zu haben. Das war wirklich mächtig ungerecht.

Ich schob diese Sorgen beiseite. Im Augenblick war alles gut. Seit Queenie, mein Dienstmädchen, für einige Wochen nach Hause gegangen war, verlief mein Leben bemerkenswert friedlich. Sie war abgereist, um sich um ihre Mutter zu kümmern, die beim Überqueren der Walthamtow High Street von einer Straßenbahn angefahren worden war und sich das Bein gebrochen hatte. Aber das Bein war verheilt und ich erwartete Queenie jeden Tag zurück. Ich sah ihrer Rückkehr mit gemischten Gefühlen entgegen, da Queenie bei Weitem das unverbesserlichste Dienstmädchen des Universums war. Ehrlich gesagt vermutete ich, dass ihre Familie sie nicht aus Pflichtgefühl dazu bestärkte, zu mir zurückzukehren, sondern weil sie sie schnell wieder loswerden wollte. Ich seufzte, entspannte mich und ließ meine Gedanken zu angenehmeren Themen schweifen. Ich war schon im Halbschlaf, als ich ein Geräusch hörte, bei dem ich sofort hellwach hochschreckte.

Neben dem Rauschen von Wind und Regen hatte ich das deutliche metallische Klicken eines Schlosses vernommen, gefolgt von dem Knarzen einer Tür, die geöffnet wurde. Jemand betrat das Haus. Ich fragte mich, ob ich vor dem Schlafengehen vergessen hatte, die Tür abzuschließen, aber ich konnte mich deutlich daran erinnern es getan zu haben. Binnen eines Augenblicks war ich auf den Beinen. Belindas Cottage war winzig. Eine Treppe führte zu dem Schlafzimmer, in dem ich mich befand, daneben waren das Badezimmer und eine Dienstmädchenkammer. Ich sah mich verzweifelt um. Es gab kein Versteck, falls Einbrecher ins Haus eingedrungen waren. Ich nahm das Bett in Augenschein, aber Belinda hatte Kisten und Koffer darunter geschoben. Der Kleiderschrank war voll mit ihren Kleidern. Ich überlegte, ob ich auf Zehenspitzen über den Flur in die Kammer schleichen konnte, oder besser noch in das Badezimmer. Im Bad würde sicher kein Einbrecher nachsehen, oder?

Vorsichtig öffnete ich die Tür und wollte gerade um die Ecke spähen, als ich aus dem Flur unter mir gedämpfte Stimmen hörte. Allmächtiger. Mehr als einer. Ich warf einen Blick zurück ins Zimmer, für den Fall, dass ich dort irgendetwas fand, das sich als Waffe eignete – aber die zierliche Tischlampe aus Porzellan würde mir nicht viel nützen, selbst wenn es mir gelang, sie rechtzeitig auszustecken. Dann hörte ich ein Lachen, das ich erkannte. Belindas Lachen. Sie war unerwartet zurückgekommen und unterhielt sich wahrscheinlich mit dem Taxifahrer, der ihr Gepäck hereintrug. Ich wollte gerade hinausgehen, um sie zu begrüßen, da hörte ich, wie sie sagte: „Toby, du bist so unanständig. Lass das oder warte zumindest, bis ich meine Handschuhe ausgezogen habe.“

„Kann es nicht erwarten, du köstliches Ding“, sagte eine tiefe Männerstimme. „Ich werde dir alle Kleider vom Leib reißen, dich auf dieses Bett werfen und über dich herfallen.“

„Du wirst mir sicher nichts vom Leib reißen“, sagte Belinda und lachte erneut. „Zufällig mag ich meine Kleider. Aber du darfst mich so schnell ausziehen wie du magst.“

„Die Vorstellung gefällt mir“, sagte er. „Ich habe mich danach verzehrt, mit dir ins Bett zu gehen, seit wir auf diesem Schiff zum ersten Mal miteinander getanzt haben. Aber es gab zu viele wachsame Augen. Verflixt schlau von dir hierherzukommen anstatt ein Hotel zu nehmen. Ein Mann in meiner Position kann nicht vorsichtig genug sein, weißt du.“

Toby? Ich dachte nach. Sir Toby Blenchley, der Minister der Regierung? Mir bleib keine Zeit, um darüber nachzudenken, da sie sich nun der Treppe näherten. Ich blieb hinter der Tür stehen, hin und her gerissen zwischen Peinlichkeit und Unentschlossenheit. Hatte sie etwa vergessen, dass ich ihr Haus und daher auch ihr Schlafzimmer bewohnte? Hielt sie es wirklich für angemessen, sich mit einem Minister zu vergnügen, während ich anwesend war? Wohin sollte ich gehen, während sie beschäftigt waren? Ich seufzte verärgert. Das sah Belinda ähnlich.

Ich hörte, wie sie kicherte und sagte: „Na so etwas, du bist aber ungeduldig“, während sie die Treppe hinaufgingen. Was in aller Welt sollte ich tun? Auf den Flur springen und sagen: „Willkommen zu Hause, meine liebe Belinda. Vielleicht hast du vergessen, dass du deine Wohnung deiner besten Freundin geliehen hast?“ Sir Toby war nicht mehr der Jüngste. Was, wenn die Überraschung bei ihm einen Herzinfarkt auslöste? Andererseits war es mir unmöglich, über die Galerie zur Dienstmädchenkammer zu gelangen, und ich wollte wirklich nicht im Zimmer festsitzen und ihrem Stelldichein lauschen müssen.

Doch mir wurde die Entscheidung abgenommen. Belinda rannte die restlichen Stufen hinauf und rief: „Dann komm, wer zuletzt im Bett ist, ist ein faules Ei!“ Mit voller Wucht stieß sie die Schlafzimmertür auf und ich saß dahinter in der Falle. Hinter der Tür hingen mehrere Bademäntel, die sich nun direkt vor meinem Gesicht befanden. Ich hörte, wie die beiden sich eilig auszogen. Wenn ich mich ruhig verhielt und mich nicht bewegte, würde er seinen Spaß mit ihr haben und dann gehen, überlegte ich. Oder besser noch, vielleicht würden sie beide einschlafen, und ich konnte hinausschleichen und Zuflucht im Kämmerchen suchen.

„Gott, du bist wirklich ein Augenschmaus“, hörte ich ihn sagen. „Diese hübschen kleinen Brüste. Das reicht aus, um einem Mann den Verstand zu rauben. Komm her.“

Ich hörte das Knarzen von Bettfedern, ein Grunzen, ein Seufzen. Dann geschah etwas Schreckliches. Einer von Belindas Morgenmänteln war mit Federn gesäumt. Und eine dieser Federn kitzelte nun meine Nase. Zu meinem Entsetzten wurde mir klar, dass ich niesen würde. Ich war so dicht hinter die Tür gedrückt, dass ich kaum die Hand zur Nase führen konnte. Es gelang mir gerade noch rechtzeitig und ich schlug mir die Finger über Nase und Mund. Die Geräusche auf dem Bett wurden wilder und drängender. Das Niesen ließ noch auf sich warten, bereit herauszubrechen, sobald ich lockerließ. Ich versuchte, es zu unterdrücken, aber ich musste atmen. Und dann, trotz allem, kam es heraus, ein großes, lautes „Hah-tschi“ in genau dem Moment, als Belinda stöhnte: „Oh ja, oh ja.“

Es war bemerkenswert, wie schnell es im Zimmer ruhig wurde.

„Was zum Teufel war das?“, fragte Sir Toby.

„Jemand ist im Haus.“ Ich hörte, wie das Bett knarzte, als sich Belinda erhob.

„Hast du nicht gesagt, niemand wäre hier?“

„Es muss mein Dienstmädchen sein, obwohl ich ihr nicht gesagt habe, dass ich heimkomme“, sagte Belinda. „Woher hat sie das erfahren? Ich sehe nach, ob sie in ihrem Zimmer ist.“ Dann senkte sie die Stimme. „Geh nicht weg, du wildes Tier. Ich komme wieder und dann können wir da weitermachen, wo wir aufgehört haben.“

„Da bin ich mir nicht so sicher“, sagte er. „Nicht, wenn dein Dienstmädchen im Haus ist. Neigt sie dazu, zu tratschen?“

„Mein Dienstmädchen wird sehr gut dafür bezahlt, nichts von dem mitzubekommen, was in meinem Schlafzimmer passiert“, sagte Belinda. „Du musst dir keine Sorgen machen, Toby, das verspreche ich dir. Ich hole nur meinen Morgenmantel …“

Sie zog die Tür schwungvoll auf.

Kapitel 2

Zum Glück verursachte der Sturm draußen solchen Lärm, andernfalls hätte man ihren Schrei noch an der Victoria Station und vielleicht sogar auf der anderen Seite der Themse hören können.

„Belinda, es ist in Ordnung“, sagte ich und streckte eine Hand nach ihr aus. „Ich bin’s, Georgie.“

„Oh Gott.“ Sie schnappte nun nach Luft und hatte die Hand auf ihre nackte Brust gelegt. „Georgie. Bist du wahnsinnig geworden? Warum in aller Welt versteckst du dich in meinem Schlafzimmer?“

„Es tut mir leid, dass ich dich erschreckt habe, Belinda“, sagte ich. „Ich hatte nicht vor, mich zu verstecken, aber als ich aufgewacht bin und dich die Treppe heraufkommen hörte, war es zu spät, um vernünftig zu reagieren. Und du hast die Tür so schwungvoll aufgestoßen, dass ich dahinter in der Falle saß.“

Sir Toby stand neben dem Bett. Offensichtlich war ihm gerade erst klargeworden, dass er nackt und in unbekannter weiblicher Gesellschaft war, denn er griff nach einem spitzenbesetzten, herzförmigen Kissen und versuchte, sein bestes Stück damit zu verdecken. Er sah alt und lächerlich aus und ähnelte kein bisschen dem souveränen, elegant gekleideten Mann, dessen Bild ich aus Nachrichten und Zeitschriften kannte. „Du kennst diese Person, Belinda?“, fragte er herrisch. „Sollen wir die Polizei rufen?“

„Oh nein, natürlich nicht“, sagte Belinda. „Sie ist meine beste Freundin – Georgiana Rannoch.“

„Lady Georgiana, Schwester des Dukes von Rannoch?“, fragte Sir Toby. „Meine Güte. Aber was hat sie in deinem Haus verloren? In deinem Schlafzimmer, um Himmels willen?“

„Ich habe keine Ahnung, Toby.“

Es reichte mir. Beide blickten mich voller Entsetzen und Misstrauen an, als wäre ich ein gefährliches, in die Enge getriebenes Tier. „Vielleicht hast du in der Hitze des Augenblicks vergessen, dass du mich eingeladen hast, bei dir zu wohnen, solange du fort bist, Belinda“, sagte ich. „Und du hättest mich vorwarnen können, dass du zurückkommen würdest.“

Belinda hatte einen der Morgenmäntel vom Haken genommen und versuchte gerade ihn überzuziehen. Mir fiel auf, dass ihr Körper kurviger war als zu der Zeit, als wir als Jugendliche im Internat für höhere Töchter ein Zimmer geteilt hatten. Kein Wunder, dass sich Männer so zu ihr hingezogen fühlten.

„Ich erinnere mich daran, erwähnt zu haben, dass du bei mir wohnen kannst“, sagte Belinda, nachdem sie erfolgreich den Morgenmantel angezogen und um ihre Taille geknotet hatte. „Aber ich hatte nicht gedacht, dass du mein Angebot annehmen würdest. Du hättest mir ein paar Zeilen schreiben und Bescheid geben können.“

„Dir ein paar Zeilen schreiben?“ Jetzt war ich ehrlich entrüstet. „Belinda, ich habe dir zwei Briefe geschrieben. Und da ich nicht wusste, wo du dich aufhältst, habe ich einen an Golden Pictures und einen an das Beverly Hills Hotel adressiert. Willst du mir etwa sagen, dass du keinen von beiden bekommen hast?“

„Natürlich habe ich sie nicht bekommen. Ich bin nie zu Golden Pictures zurückgekehrt. Mr Goldmans Witwe hat den Betrieb so gut wie zum Stillstand gebracht; zumindest sind alle Dreharbeiten im Moment ausgesetzt. Und mein Budget hat wirklich nicht zugelassen, im Beverly Hills Hotel zu bleiben.“

Sir Toby räusperte sich. „Belinda, angesichts der Umstände sollte ich wohl so schnell wie möglich aufbrechen. Wenn es euch jungen Ladys also nichts ausmacht, vor die Tür zu gehen, während ich mich anziehe …“

Belinda folgte mir hinaus auf den Treppenabsatz. „Ehrlich, Georgie. Du hast alles verdorben.“

Sie stand da und starrte mich finster an, während ich mich vor Peinlichkeit wand.

„Es tut mir leid, aber du hast es mir angeboten und ich habe dir geschrieben, um dir Bescheid zu geben. Und ich werde um diese Zeit nicht hinaus in den Sturm gehen, damit du deine kleine Angelegenheit mit einem Regierungsminister zu Ende bringen kannst.“

Sir Toby kam heraus und sah in seinem dunklen Anzug und der Krawatte in den Farben seiner alten Privatschule nun wieder mehr nach sich selbst aus. „Ich mache mich jetzt auf den Weg nach Hause, Belinda“, sagte er. „Ich bin mir sicher, dass ich auf der Knightsbridge ein Taxi erwischen kann. Ich finde selbst zur Tür.“

Belinda folgte ihm die Treppe hinunter. „Sehe ich dich bald wieder?“

Er räusperte sich auf die nervtötende Art, die manchen Männern zu eigen war. „Ich halte das wirklich nicht für klug … So gern ich auch würde. Kann es mir nicht leisten, die Partei mit einem Skandal zu behaften, weißt du. Lassen wir heute Nacht einfach hinter uns. Vergessen wir das Ganze.“

Mit diesen Worten griff er nach seinem Mantel, öffnete die Haustür und trat hinaus in den Sturm.

Ich blieb auf dem oberen Treppenabsatz stehen. Wir sahen einander in angespannter Stille an.

„Tja, das war’s dann wohl“, sagte Belinda. „Gibt es irgendwas zu trinken im Haus?“

„Ich könnte dir eine Tasse Tee machen und ich glaube, es gibt Kakao“, antwortete ich.

Sie prustete los. „Gott, Georgie, warum musst du ständig so unverdorben und naiv sein? Wann wirst du erwachsen werden und merken, wie es im Leben läuft? Wenn Leute sagen, sie brauchen einen Drink, sprechen sie nicht von Kakao, sondern von einem großen Whisky.“

„Ich glaube, in deinem Cocktailkabinett gibt es Scotch“, sagte ich. „Und mein Leben unterscheidet sich stark von deinem, Belinda. Ich bringe keine Minister zum Sex nach Hause. Ehrlich gesagt bringe ich niemanden zum Sex nach Hause.“

Belinda seufzte. „Georgie, du bist wirklich eine typische Kakaotrinkerin. Himmel, dabei hatte ich mich so darauf gefreut. Mächtige Männer üben eine starke Anziehung auf mich aus. Und offensichtlich war er auch noch gut im Bett. Aber jetzt werde ich nie wissen …“

Eine weitere peinlich berührte Stille folgte. „Wie gesagt, es tut mir leid“, wiederholte ich. „Ich weiß nicht, was ich noch sagen soll. Und du hast mich oft genug ausgenutzt, nicht zuletzt, als du aus heiterem Himmel in Hollywood aufgetaucht bist, also glaube ich, dass du mir den ein oder anderen Gefallen schuldest.“

Die Stille dehnte sich aus, während sie die Treppe hinunter und zu dem Schrank in der Ecke ging. Ich hörte, wie Alkohol in ein Glas gefüllt wurde. Oder vielmehr in zwei Gläser. Sie kam wieder die Treppe hinauf und hielt mir einen halb vollen Whisky-Tumbler entgegen. „Hier, trink das. Du brauchst es ebenso sehr wie ich. Und du hast recht. Ich habe dir mein Zuhause angeboten und dich bei vielen Gelegenheiten schamlos für meine Zwecke ausgenutzt. Komm schon, runter damit.“

Ich tat wie geheißen und spürte, wie mir die feurige Flüssigkeit die Kehle hinunterrann und sich Wärme in meinem Körper ausbreitete. Ich hustete und wischte mir über die Augen. Sie lachte. „Du musst die einzige Schottin sein, die keinen Whisky verträgt“, sagte sie.

„Ich bin nur zu einem Viertel schottisch“, erwiderte ich und brachte ein schwaches Lächeln zustande. „Und ich bin nie auf den Geschmack gekommen.“

„Du und dein verdammter Kakao“, sagte sie und fing wieder an zu lachen. „Ach, ich glaube, es hätte ohnehin zu nichts geführt. Es war nur eine dieser Schiffsromanzen. Und jetzt ist er nach Hause gegangen.“
„Zurück zu seiner Frau, wenn ich mich recht erinnere“, sagte ich. „Und war er nicht derjenige, der diese Rede über die Heiligkeit der Familie gehalten hat und meinte, jeder stolze Engländer wäre der König seines eigenen Schlosses, umringt von seiner Frau und seinen Kindern?“

Sie nickte. „Er ist ein Politiker, Georgie. Die sagen, was die Leute hören wollen.“

„Belinda, ich glaube, ich habe dir einen Gefallen getan. Du hättest große Unruhe stiften können. Du hättest die Regierung stürzen können.“

„Das wäre vielleicht interessant gewesen“, sagte sie. „Und dann würden die Leute wenigstens wissen, wer ich bin. Ich wäre eine Berühmtheit.“

„Nicht von der richtigen Sorte“, sagte ich. „Kein respektabler Haushalt würde dich zum Dinner einladen, aus Angst, du könntest ihre Ehemänner verführen.“

„Wahrscheinlich hast du recht, wie immer“, sagte sie. „Mir ist wirklich der Gedanke gekommen, dass es nett wäre, die Geliebte von jemandem zu sein. Ich wäre versorgt und würde irgendwo in einer schicken Wohnung leben.“

„Ohne jegliche Sicherheit, Belinda. Warum nicht als Ehefrau von jemandem? Dein Stammbaum ist so gut wie meiner – naja, beinahe.“

„Aber ich bin beschädigte Ware, Schätzchen. Keine der erstklassigen Familien möchte, dass ihr Sohn mit jemandem wie mir durchbrennt. Im Gegensatz zu dir bin ich eindeutig keine Jungfrau mehr. Ich habe jetzt einen gewissen Ruf und noch dazu keinerlei Vermögen. Und im Moment bin ich völlig abgebrannt – keine Ahnung, wie ich mein Dienstmädchen bezahlen und mir Essen leisten soll, falls sich nicht eine Möglichkeit auftut.“

„Es hat sich also nichts für dich in Hollywood ergeben?“, fragte ich. „Du meintest, dass Goldman Pictures von Mrs Goldman eingestellt wurde, aber was ist mit all den anderen Studios? Wollte keines davon eine talentierte Kostümbildnerin? Immerhin hattest du die besten Kontakte – du bist nackt mit Craig Hart geschwommen.“

Belinda runzelte die Stirn. „Anscheinend sind in Hollywood zu viele talentierte Leute, die sich um zu wenig Arbeit streiten. Dieser Lebensstil war nichts für mich. Zu aufdringlich. Zu künstlich. Niemand meint, was er sagt. Sie machen große Worte und geben große Versprechen, aber es ist alles nur zum Schein.“

„Das tut mir leid“, sagte ich. „Ich wette, aus dir wäre eine brillante Kostümbildnerin geworden. Du bist sehr talentiert.“

„Lieb von dir, das zu sagen, Schätzchen.“ Sie brachte ein schwaches Lächeln zustande.

„Du bist bei Chanel in die Lehre gegangen, Belinda. Und du bist wirklich gut. Du könntest hier mit Leichtigkeit deine eigene Kollektion auf die Beine stellen. Davon bin ich überzeugt.“

„Das bin ich ebenfalls“, sagte sie, „allerdings kostet das alles Geld. Ich würde Räume brauchen, Näherinnen, Stoffe … und weißt du noch, was ich damals herausgefunden habe? Diejenigen, die sich gute Kleider leisten können, wollen alles auf Pump haben. Sie zum Zahlen zu bringen ist ein ständiger Kampf.“

Diesmal war ich an der Reihe zu seufzen. „Es ist nicht einfach, was? Meine Mutter überreichte mir bei ihrer Abreise nach Deutschland einen netten Scheck, aber er wird nicht ewig reichen. Und jetzt, da du daheim bist, weiß ich nicht einmal, wohin ich gehen soll. Vermutlich zurück nach Schottland, zu meiner Schwägerin, die mir vorhält, was für eine Belastung ich doch bin.“

Belinda legte mir eine Hand auf die Schulter. „Ich würde dich hier wohnen lassen, aber wenn mein Dienstmädchen zurückkommt, gibt es keinen Schlafplatz für dich. Und es passt ganz und gar nicht zu meinem Lebensstil, wenn eine Freundin unten auf dem Sofa schläft.“

„Mir ist natürlich klar, dass ich nicht hierbleiben kann“, sagte ich.

„Aber es gibt das Haus am Belgrave Square, das deiner Familie gehört“, sagte sie. „Unzählige Schlafzimmer. Was stimmt damit nicht?“

„Nichts, außer dass Fig sehr deutlich gemacht hat, dass sie es sich nicht leisten können, es nur für mich zu öffnen. Anscheinend übersteigt die geringe Menge Kohlen, die ich zum Heizen eines Schlafzimmers nutzen würde, ihre Mittel.“

„Hat dein Bruder wirklich so große Geldprobleme?“, fragte Belinda.

„Das behauptet jedenfalls seine Frau. Ich glaube eher, dass sie von Natur aus geizig ist und nicht will, dass irgendetwas von ihrem Geld für mich ausgegeben wird. Sie hat mir ein ums andere Mal gesagt, dass Binkys Verantwortung für mich endete, sobald meine Saison vorbei war. Es ist meine Schuld, dass ich keine gute Partie eingegangen bin.“

„Wo wir vom Heiraten sprechen …“ Sie hielt inne. „Gibt es Neuigkeiten von Darcy? Er ist doch immer noch auf der Bildfläche, oder?“

„Wenn er in der Gegend ist“, sagte ich. Ich blickte an ihr vorbei auf die weiß lackierte Eingangstür. „Ich habe ihn seit einer Weile nicht gesehen. Du kennst doch Darcy. Er taucht auf, es ist wie im siebten Himmel, dann geht er wieder und ich weiß nie, wo er ist oder wann er wieder zurückkommt. Dieser Mann treibt mich wirklich in den Wahnsinn, Belinda. Er hat nicht einmal eine richtige Adresse in London. Er quartiert sich in den Häusern von Freunden ein, wenn sie nicht in der Stadt sind, und schläft bei ihnen auf der Couch. Und die Hälfte der Zeit darf er mir nicht mal sagen, wohin er geht.“

„Georgie, für wen arbeitet er eigentlich, wenn er diese kleinen Aufträge annimmt – weißt du das? Glaubst du, es ist etwas schrecklich Illegales, wie Drogenschmuggel für Gangster?“

„Allmächtiger, ich hoffe nicht“, antwortete ich. „Manches von dem, was er tut, ist bemerkenswert geheim. Ich glaube, er nimmt fast jeden Auftrag an, der ihm angeboten wird, aber meistens auf der richtigen Seite des Gesetzes.“ Ich schaute mich um und senkte meine Stimme, obwohl wir allein waren und der Sturm tobte. „Manchmal denke ich sogar, dass er zuweilen von der Regierung als Spion verpflichtet wird. Er spricht nicht darüber und ich frage nicht nach. Ich weiß, dass er versucht, genug Geld zu verdienen, damit wir heiraten können …“

„Ihr seid verlobt, Schätzchen?“ Sie packte meine Hände.

Ich spürte, wie meine Wangen rot anliefen. „Nun, im Geheimen schon. Wir dürfen unsere Verlobung nicht bekannt geben, bis Darcy sicher ist, dass er mich versorgen kann. Der Himmel weiß, wann es soweit sein wird. Ich habe ihm gesagt, dass es mir nichts ausmachen würde, in einer kleinen Wohnung zu leben, aber er besteht darauf, es ganz oder gar nicht zu tun.“

„Natürlich tut er das.“ Sie sah mich wehmütig an. „Du hast so großes Glück, Georgie. Du kannst dich auf eine wundervolle Zukunft mit einem Mann freuen, der dich liebt.“

Das sah Belinda kein bisschen ähnlich und ich drehte mich zu ihr um. „Belinda – ich weiß, dass du den Richtigen treffen wirst. Auf dich wartet eine vielversprechendere Zukunft als auf mich, weil du so talentiert bist.“

„Liebe Georgie.“ Sie streckte die Arme aus, um mich zu umarmen. „Du bist so nett. Du verdienst es, glücklich zu sein.“

„Kopf hoch, Belinda. Alles wird sich zum Guten wenden“, sagte ich. „Du wirst eine Arbeit finden oder dein Vater wird nachgeben und dir etwas Geld geben … und wirst du nicht eine Summe von deiner Großmutter erben?“

Sie schnitt eine Grimasse. „Meine Großmutter wird die Hundert erreichen. Sie läuft immer noch jeden Morgen drei Meilen und nimmt kalte Bäder. Und von meinem Vater bekomme ich kein Geld, solange meine böse Stiefmutter auf der Bildfläche ist. Nein, Schätzchen, ich fürchte, ich muss zurück ins Crockford’s, wenn ich überleben will.“

„Crockford’s? Den Club, meinst du? Glaubst du wirklich, dass du mit Glücksspiel Geld verdienen kannst?“

„Ehrlich gesagt bin ich darin ziemlich gut, Schätzchen“, sagte sie. „Ich spiele das hilflose, unschuldige junge Mädchen – du weißt schon – das erste Mal am Spieltisch und alles ist so furchtbar verwirrend. Mein Einsatz wird normalerweise von netten Männern übernommen. So verliere ich tatsächlich nie mein eigenes Geld und ich gewinne bemerkenswert oft. Manche Männer erwarten allerdings etwas im Gegenzug …“ Sie lächelte strahlend. „Aber genug der Trübsal. In meinem Bett ist genug Platz für zwei und morgen früh schmieden wir Pläne.“