Leseprobe Home Run

Kapitel 1

Avery starrte grimmig auf Finn Fames zahnpastaweißes Lächeln, das auf dem Kinoplakat an der Eingangstür zum Regal Cinema prangte. Seine himmelblauen Augen glänzten und die muskulöse Brust war sicher gephotoshopped. Alles nur Fassade! Ein glorreicher Werbedeal und nichts, was Persönlichkeit hinter Finn Fame zeigte.

Es war immer dasselbe! Imagekampagnen, die einen aalglatten und sexy Kerl zeigten, der Frauenherzen höherschlagen ließ. Zumindest in fangirlbehafteten Illusionsblasen, dachte Avery und stieß genervt die Tür auf. Sie wurde von Pappfiguren des Baseballstars in Lebensgröße empfangen, die die aktuellen Filmplakate an den violetten Wänden verdeckten. Der junge Champion der San Francisco Giants hatte es geschafft, einen Film über sein Leben zu drehen.

Warum warben die Stars von heute immer mit ihren blasierten Images? Wo blieb das Greifbare? Das Nahbare?

Das war nicht gewollt. Die Welt wollte nichts Authentisches. Nur Waschbrettbäuche, denen ein geformter Charakter aufgedrückt wurde. Das war etwas, das Avery an der Vermarktung der Stars hasste. Ihnen wurde die Persönlichkeit via Managementvertrag geraubt.

Deshalb war Finn Fame für sie nichts weiter als ein Wicht, der mit seinen zweiundzwanzig Jahren dachte, die Welt zu beherrschen. So wurde er zumindest dargestellt.

Das trichtert Jugendlichen zu viel Selbstbewusstsein ein, in einer ellenbogendominierten Gesellschaft, dachte Avery und stapfte verstimmt zum Kassenschalter.

Mürrisch warf sie ihre Handtasche auf den Tresen.

„Hast du es gehört?“ Emma tauchte mit verträumtem Blick neben ihr auf. „Finn Fame wird eine Autogrammstunde bei uns geben.“ Sie griff nach einer Pappfigur und faltete sie auseinander.

„Hilf mir mal“, forderte sie Avery auf, die sich aus ihrer Jacke schälte und den Eingangsbereich kritisch beäugte. Emma arbeitete, wie sie, seit zwei Jahren aushilfsmäßig im Cinema und war inzwischen zu einer Freundin geworden. Neue Freundschaften zu knüpfen war nicht unbedingt Averys Ding, sie war ein Freigeist. Ein kritischer. Vielleicht sogar ein eigenbrötlerischer.

Vereinzelte Freunde, auf die sie sich verlassen konnte, waren ihr lieber. Auf schmallippige Ausreden irgendwelcher flüchtigen Bekannter hatte sie keine Lust.

Avery liebte Authentisches, was im krassen Gegensatz zu ihrer Regisseur-Ausbildung stand. Sie war ihr Ausgleich, und sie wollte greifbare Welten erschaffen, auch wenn sie dazu einmal gehypte und versnobte Schauspieler benötigen würde. Diese unangenehme Tatsache verdrängte sie erfolgreich, denn die Finn-Fame-Aufsteller krochen zurück in ihr Bewusstsein.

Die geheimnisvolle Atmosphäre im Eingangsbereich des Cinemas wurde durch die Aufsteller zerstört. Gefühlt jede Wand war mit Finns Gesicht tapeziert. Dezente Werbung war das nicht. Eher Belästigung.

„Ist es wirklich notwendig, das ganze Kino mit Finn zu spamen?“ Avery wies zur Plakatflut. „Haben die anderen Filme keine Aufmerksamkeit verdient? Immerhin hängen da Blockbuster.“

Emma nickte energisch. „Ja, das ist notwendig, Ave. Es wird DAS Event. Wann hat man schon die Möglichkeit, einen Weltsportler live zu treffen?“

Mit rosigen Wangen stellte sie einen lebensgroßen Finn Fame neben die Eingangstür auf den nachtblauen Teppich, der mit weißen Sternen verziert war. Ein Teppich, der zum Träumen einlud.

„Weltsportler“, grummelte Avery. Möchtegernstar traf es wohl eher.

Sie linste in einen der Kartons, die sich neben dem Tresen stapelten. Daraus lächelten ihr Miniatur-Aufsteller des Baseballers entgegen.

„Der Schnickschnack ist zu aufdringlich.“

„Dem Chef gefällt es.“ Emma schob sich eine blonde Engelslocke hinters Ohr. „Außerdem war es Anordnung von Finn Fames Management. Es soll jedem auffallen, dass er kommt.“

„Da müsste man Tomaten auf den Augen haben, um das zu übersehen. Denkt hier jemand an die enorme Papierverschwendung? Die ganze Pappe wird doch am Ende weggeworfen. Oder sind die Dinger zum Recyceln? Am Ende holzen sie wegen des Pappmistes hier den Regenwald ab.“

Es wunderte sie nicht, dass ihr Chef George Feuer und Flamme für die Autogrammstunde und die Werbeaufsteller war, denn er witterte profitable Deals. Wie er an Finn Fame rangekommen war, war Avery ein Rätsel. Er war Amerikas begehrtestes Baseballtalent und sicher vollgestopft mit Terminen in weitaus wichtigeren Kinohäusern als dem Regal Cinema. Sie wollte sich nicht ausmalen, was ihr popeliger Chef bereit war, dafür zu geben, wenn schon eine Unsumme an Geld für das Marketing verschleudert wurde.

„Ich finde es großartig, dass er kommt, und werde mich um die Schicht reißen“, erklärte Emma schwärmerisch.

„Da stehe ich dir nicht im Weg“, prophezeite Avery, die aufmerksam den Schichtplan studierte. In zwei Wochen, zur Filmpremiere, würde Finn die Autogrammstunde abhalten. Abschätzig überflog sie die Eintragungen am besagten Tag und war die Einzige, die nicht auf diese Schicht spekulierte. Sämtliches weibliches Personal hatte sich in die kleine Spalte der Tabelle gezwängt. Seufzend stellte sie den Ordner zurück ins Fach und beobachtete Emma beim Auspacken der kleinen Werbeaufsteller.

Intensives Fangirltum war sicher was Tolles, für Teenager, die sich ein moralisches Vorbild suchten. Aber die ganze Illusion, die das erwählte Idol umgab, war ihr bei Finn zu aufdringlich. Zu arrogant und zu wichtigtuerisch. Finn war bei gefühlt jedem wichtigen Event in den Medien ein geladener Gast. Beantwortete Fragen zu seinen Erfolgen mit siegreichem Lächeln und warf mit gespielter Großmütigkeit um sich. Dabei stets darauf bedacht, mit der Kamera zu flirten.

„Sein Management will, dass wir den ganzen Kram aufstellen?“, versicherte sie sich und Emma nickte. Mit Hundeblick bewog sie Avery zum Helfen.

Nach einer Stunde Aufsteller und Zahnpastalächeln ließ sie sich müde auf einen Drehstuhl hinter dem Tresen fallen. „Ich glaube, ich habe ein Finn-Fame-Trauma.“

Emma setzte sich zu ihr. „Irgendwie ganz schön dominant.“

Es gab keinen Zentimeter des Eingangsbereiches, der nicht mit dem Star versehen war.

„Da sind ja meine zwei Täubchen.“ George trat beschwingt zum Schalter und stellte einen verbeulten Papphalter mit zwei Cokes darauf ab.

„Für meine fleißigen Mädchen.“ Er bot Avery und Emma das Getränk an. „Hach, die Kulisse lässt den Vorgeschmack erleben, wie es sich anfühlen muss, wenn Finn hier über unseren Teppich flaniert, oder?“ Er besah sich zufrieden das Dekorationswerk.

Avery schnaubte. „Fantastisch. Es geht mir durch Mark und Bein. Meine Träume werden vermutlich von Finn gesäumt sein.“

Emma kicherte und zog am Strohhalm ihrer Coke.

George hob eine Augenbraue. „Avery, wir müssen das professionell betrachten. Selbst wenn Finn einen wasserspeienden Gorilla für die Autogrammstunde benötigt, beschaffen wir diesen.“ Rasch zog er ein zerknautschtes Papier aus der Innentasche seines Cordblazers.

Cordblazer! War Cord nicht sowas von out?

„Apropos, hier habe ich eine Liste von Besorgungen, die das Management fordert. Könntet ihr das übernehmen?“

Wenn George sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war er schwer davon abzubringen. Sein Dickkopf grenzte an die Dichte eines Diamanten.

Avery versuchte erst gar nicht, zu widersprechen. Es war zwecklos. Emma griff nach der Liste, und Avery warf einen kurzen Blick darauf.

„Natriumarmes Mineralwasser?“ Sie runzelte die Stirn. „Haben wir sowas?“

George zuckte mit den Schultern. „Beschafft alles, was nötig ist.“ Geschäftig griff er nach seinem Smartphone und lief tippend zurück in sein Büro. George hatte die Angewohnheit, all jenes, um das er sich nicht kümmern wollte, auf Avery abzuwälzen.

„Wann ist Mineralwasser überhaupt natriumarm?“

Sie hasste es, dass George immer wieder diese Tour abzog. Aber sie brauchte den Job im Cinema, denn als angehende Regisseurin konnte sie nicht genug Kinopraxis haben.

„Reg dich nicht auf, Ave“, entgegnete Emma. „Wir können alles googeln.“

„Tagesfrisches Obst? Hüttenkäse mit Vollkorn-Crunchy? Tofu mit Kürbis? Avocadopasta mit Quinoa? Will der hier ein vegetarisches Festmahl veranstalten?“ Sie starrte fassungslos auf die Liste. „Das ist pure Verschwendung. Will George, dass wir den ganzen Tag mit Kochen verbringen, weil Herr Sportbacke ausgehungert hier aufschlägt, oder was?!“

Emma zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Jedenfalls sollten wir alles beschaffen.“

„Na, ich koche nicht für Finn Fame, um am Ende alles wegzuwerfen“, stieß Avery verärgert aus.

„Dann lassen wir eben Kochen. Ist Daves Mum Holly nicht Köchin? Für freien Eintritt könnten wir sie in der Küche kochen lassen.“

Avery runzelte die Stirn. Dave war einer ihrer Kollegen, der die Kinopässe entwertete. Er wurde von allen nur der Knipser genannt, weil er auf das Knipsen bestand wie ein Schaffner im Zug. Dafür hatte er sich ein silbernes Knipsgerät angeschafft, auf das er mächtig stolz war. Die Kinobesucher liebten ihn für seine nostalgische Ader.

„Dann klär das mit Knipser. Mir geht das schon wieder an die Laune.“ Avery beobachtete, wie Emma hektisch eine Whatsappnachricht tippte.

„Was gibt es sonst noch Skandalöses auf der Liste?“, erkundigte sich Emma und nahm das Papier, das Avery achtlos auf den Tisch gelegt hatte. Wenn ihre Laune weiter in den Minusbereich sank, würde hier ganz schnell Winter ausbrechen.

Emma studierte die Liste und eine große Furche bildete sich über ihrer Nase. „Sportsocken? Ernsthaft? Davon wird er doch haufenweise haben.“ Ihre braunen Augen sahen fragend auf.

„Keine Ahnung, vielleicht will er damit seinen Hintern polieren, weil das handelsübliche Klopapier nicht fein genug ist.“

„Den wir leider nicht zu sehen bekommen“, ergänzte Emma neckisch.

„Fein, ich kümmere mich um die Socken und den Kram, den ich in der Mall bekomme. Du organisierst den kulinarischen Teil.“ Avery knipste mit ihrem Smartphone ein Foto der Liste. Sie konnte das leidige Thema Finn Fame schon jetzt nicht mehr hören. Die Wochen bis zur Autogrammstunde würden die reinste Hölle werden. Sie hoffte innigst, dass George ihr keine weiteren Extrawürste zuwies und sie sich um den besagten Tag drücken konnte. Sie hatte wenig Lust auf die durchdrehenden Kinokolleginnen.

„Wir sollten die übrige Dekoration wegschaffen, es ist gleich acht“, sagte Emma, während die ersten Besucher der Abendvorstellung eintrudelten.

 

Nachdem sie etliche Tickets zu den neuen Blockbustern verkauft hatten, lehnte sich Avery müde zurück.

„Primitiv, wie die Leute auf den Kerl abfahren, oder?“, seufzte sie und betrachtete Finn Fames grinsende Visage.

Der Knipser trat heran, und Schweißperlen benetzten seine Stirn. „Sagt mal, was für Kapseln für Unwiderstehlichkeit hat der Kerl genommen? Wie kann man so scharf auf Pappe aussehen?“ Avery schmunzelte. Sie mochte Dave, auch wenn er manchmal dem Neunzigerjahre-Style verfiel.

„Frag mich was Leichteres. Allein die Aufsteller haben schon Schnappatmung bei den Mädels ausgelöst. Ich will nicht wissen, wie das bei der Premiere ist.“

„Halleluja, da wird mein Knipser durchdrehen.“ Dave grinste und reckte sein silbernes Gerät in die Höhe wie Superman die Faust.

„Die spannende Frage ist, welche von den Kassiererinnen nicht durchdreht.“ Avery streifte Emma mit einem frechen Seitenblick.

„Ich würde alles dafür geben, die Schicht zu machen.“ Emma lächelte verzückt.

Dave runzelte die Stirn. „Ich hatte gehofft, du würdest die Schicht übernehmen, Ave.“

Überrascht hob sie die Augenbrauen. Wieso sollte sie? Des Kontaktes wegen? Nein, an Finn war sowieso kein Herankommen. Die Personenschützer waren scharf wie Habichte auf die Mäuse.

„Ich halte nichts von Finn Fame. Mein Lebenslauf wird durch sein Aufkreuzen nicht aufpoliert.“

Emma brummte. „Er könnte ein wichtiger Kontakt für dich sein.“

Avery war bewusst, dass sie auf ihre Ausbildung zur Regisseurin anspielte. Doch die würde sie auch ohne Baseballstar schaffen. Sie gehörte zur Fraktion, deren Leistungen über dem Durchschnitt lagen. Sie war eine solide Schülerin.

„Wegen ihm werde ich keinem die Schicht streitig machen.“

„Trotzdem glaube ich, dass du die Einzige bist, die die Nerven behält, wenn der Kerl auftaucht.“

Daves Blick glitt bedeutungsvoll zu Emma, die geistesabwesend das Plakat des Sportlers betrachtete.

„Im Gegensatz zu der da.“

Avery grinste. Damit hatte er recht.

„Überlass das mal George, wen er dafür haben will.“ Sie wandte sich einem umschlungenen Pärchen vor dem Tresen zu.

„Ist das wahr? Finn Fame kommt her?“, fragte die hübsche Blondine und schüttelte den Arm ihres Freundes ab, der das entgeistert zur Kenntnis nahm.

„Ja, das stimmt“, entgegnete Avery höflich.

„Wahnsinn!“ Die Blonde fächerte sich Luft zu.

Ihr Freund, der weniger amüsiert war, brummte. „Wollen wir nicht Tickets kaufen?“

„Finn Fame“, keuchte seine Freundin und sah ihn entrüstet an. „Du weißt schon, wer er ist, oder?“

„Ich könnte euch in die Acht-Uhr-Vorstellung tricksen? Der neue Bruce Willis?“, versuchte Avery, das Thema auf den Ticketverkauf zu lenken. Der Kerl nickte hastig und sie druckte zwei Tickets, die sie galant abriss und auf den Tresen legte.

„Kann ich schon Karten für die Filmpremiere kaufen?“, fieberte die Blonde.

„Nein, der Vorverkauf beginnt erst ab nächster Woche“, informierte Emma und schob ihr einen kleinen Finn-Fame-Aufsteller zu. „Bis dahin tröstet er dich sicher.“

Avery hörte das Lachen vom Knipser und warf ihm ein amüsiertes Lächeln zu, während die Blonde den Aufsteller ehrfürchtig entgegennahm, als wäre er eine Trophäe. Behütend drückte sie ihn an die Brust und lief zum Kinosaal, an dem der Knipser grinsend auf sie wartete. Ihr Freund eilte verwirrt hinterher. Armer Kerl, dachte Avery.

Nachdem Dave die Tickets entwertet hatte, trat er zum Tresen. „Wetten, die Beziehung der beiden hält nicht lang?“ Er grinste verschmitzt.

„Ich schätze, Finn Fame hat sie soeben ruiniert.“

„Der Vorverkauf wird die Hölle. Da tummeln sich tausende von solchen Weibern.“ Dave seufzte.

„Ohne Nervennahrung würde ich das nicht überstehen. Deshalb halte ich mich fern“, erklärte Avery wacker.

„Wie wäre es mit Avocadopasta oder Kürbis mit Tofu?“, schlug Emma vor.

Dave verzog angewidert den Mund. „Alter, wer frisst denn sowas?“

„Unser Beauty Boy auf den Plakaten.“ Avery lachte angesichts Daves irritiertem Blick.

Emma klärte ihn rasch auf. „George gab uns eine Liste mit Besorgungen, die uns Finns Management wissen ließ.“

„Da war der Fraß drauf oder was?“

„Jepp.“ Emma gab es auf, den Star zu verteidigen.

„Entweder hat der Kerl keinen Hunger oder er strebt eine Modelkarriere an. Ist doch nicht normal“, erklärte Dave fachmännisch und Avery pflichtete ihm bei. „Meine Rede.“

„Jedenfalls dachten wir, dass deine Mum bei der Filmpremiere für ihn kochen könnte? Ich hatte dir das schon per Whatsapp geschrieben.“ Emma lächelte ihr hübschestes Lächeln und spielte mit den blonden Locken. Abwartend musterte sie Dave, der süffisant einen Mundwinkel hob. „Für die halbe Portion soll sie kochen? Was springt denn dabei für mich raus? Ich manage meine Mum ja quasi.“

Avery stöhnte, sie hatte keine Lust auf Verhandlungen. „Du kriegst ein Autogramm. Ist das nicht toll?“

Dave tippte ungläubig an seine Stirn. „Du hast sie doch nicht alle. Von dem Dreikäsehoch will ich kein Autogramm. Ein Abendessen mit dir“, er wandte sich genüsslich zu Emma, „wäre verhandelbar.“

Emma errötete. „Ähm, ja, das wäre nostalgisch oder?“

„Gut, dann Pasta bei Alfredo?“, schlug er vor und sie nickte. „Einverstanden.“

Der Knipser rauschte zufrieden ab, um in den Kinosälen nach dem Rechten zu sehen.

„Du hast ein Date mit ihm“, informierte Avery ihre Freundin, die achselzuckend auf ihr Handy linste. Es war höchste Zeit, zwischen den beiden knisterte öfter die Luft.

„Dave ist ein netter Kerl“, nuschelte Emma.

„Ich weiß. Sei gut zu ihm.“

Sie zog eine Grimasse und überprüfte hektisch den Inhalt der Kasse.

Finanzen waren nicht unbedingt Averys Stärke, sie versuchte, die kreative Aura des Kinos zu wahren. Mit lebensgroßem Finn Fame war es aber schwierig, eine Art von Spirit zu fühlen, wenn man von blauen Augen angestarrt wurde. Ziemlich himmelblauen Augen.

Ein Hoch auf Photoshop!

Nach dem Kassensturz und dem Filmende der Acht-Uhr-Vorstellung verkaufte Avery wenige Tickets für die Nachtvorstellung. Der Zehn-Uhr-Film war unter der Woche der letzte im Programm, dafür war Avery dankbar. Das bedeutete, dass sie vor Mitternacht in ihrer Einzimmerwohnung am Rande des Griffith Parks sein konnte.

 

Müde schloss sie die weiße Holztür zu ihrem Reich auf und ließ sich auf das knallrote Bettsofa fallen. Sie schaffte es nicht mal mehr ins Bad, denn der Schlaf übermannte sie sofort.

Am nächsten Morgen riss sie der nostalgische Wecker mit seinem metallischen Bimmeln aus dem Schlaf. Sie gähnte und reckte sich. Dabei bemerkte sie, dass sie noch ihr Namensschild vom Cinema trug. Verschlafen löste sie es vom Sweater und huschte ins Bad, das vielmehr eine kleine, geflieste Nische war, in der Waschbecken, Duschkabine und die Toilette platziert waren. Zu Averys Leidwesen gab es in der Wohnung keinen Platz für eine Waschmaschine, so war sie von öffentlichen Waschsalons abhängig.

Rasch streifte sie ihre Kleidung ab und stellte fest, dass der Wäschekorb mal wieder überquoll. Genervt stopfte sie den Sweater hinein und duschte.

In Unterwäsche und Turban öffnete sie den Kleiderschrank und bemerkte betrübt, dass er nicht viel Brauchbares hergab. Seufzend entschied sie sich für eine grau karierte Bluse und wählte eine schwarze Hose dazu. Danach bereitete sie sich ein karges Frühstück. French Toast und Pulverkaffee. Sie hatte vergessen einzukaufen. Das musste sie dringend erledigen, inklusive Beseitigung des Mount Everest an Dreckwäsche. Ob sie es jemals lernen würde sich zu organisieren, bezweifelte sie. Aber jedes Genie verfiel dem Chaos. Ihr Motto.

Hastig schlang sie das Frühstück hinunter und kramte ihr Unterrichtszeug zusammen. Dann packte sie die Wäsche in einen Leinensack und steckte sich die Einkaufsliste in die Hosentasche.

Sie hastete in fünf Minuten zum American Film Institute, das in einem weiß verputzten Gebäude niedergelassen war. Sie blies sich eine braune Haarsträhne aus dem Gesicht, während sie die Stufen zum Eingang hinaufstieg, den Leinensack hievend.

„Darling, da bist du ja.“ Godwin reckte ihr einen Pappbecher entgegen und nahm ihr den Leinensack mit entsetztem Gesichtsausdruck ab. Sein schwarzes Haar fiel ihm frech in die Stirn und seine dunkelbraunen Augen musterten sie eingehend. „Schätzchen, du schleppst dir ja einen ab. Das gibt Seitenstechen.“

Avery nickte ihrem Kumpel und Ausbildungskollegen dankbar zu und trank einen Schluck Kaffee.

„Uuuäääh, was ist denn das?“

Die klebrige Süße jagte ihr ein Schaudern durch den Körper. Das wissende Lächeln auf Godwins philippinisch angehauchten Gesichtszügen ließ sie nichts Gutes ahnen.

„Das ist der neueste Schrei. Latte Macchiato mit Rosenaroma und Karamellzucker.“ Er öffnete die rote Tür zum Filmstudio und Avery schlüpfte hindurch. Den Pappbecher warf sie direkt in den nächsten Mülleimer.

„Sorry, aber mit Zuckerschock bin ich nicht zu gebrauchen.“

„Ebenso wenig wie deine Frisur. Sag mal, warst du feiern oder nimmst du den falschen Conditioner? Deine Augenringe sind tiefer als die Krater auf dem Mond.“

Godwin schob sie zu den Spinden, die sich an der rot gestrichenen Wand mit sorgfältig ausgewählten Filmplakaten reihten.

Avery fuhr sich genervt durchs Haar, das über die Schultern floss. „Nein, ich war arbeiten in Finn Fames Obhut.“

Godwins Augen weiteten sich. „Finn Fame?“

„Ja, in Pappe und lebensgroß, solltest du mal erleben, flasht dich richtig“, gab sie neckisch zurück und Godwin öffnete den Spind mit Zahlenkombination. „Ich dachte, du stehst nicht auf blonde Typen?“

„Und ich dachte, du stehst nicht auf Rosenkaffee.“

„Erwischt.“ Ertappt hob er die Hände.

Avery nahm ihm den Leinensack ab und stopfte ihn in ihren Spind, was Godwin ein bemängelndes Brummen abrang.

Sie hatte ihn von der ersten Sekunde an gemocht, als sie ihn im Institute getroffen hatte. Er machte ihre Ausbildung so viel besser, mit seiner quirligen Art und den verrückten Ideen. Einmal hatte er sie dazu überredet, zwei unterschiedliche Paar Schuhe anzuziehen. Nur um ein Gefühl dafür zu schaffen, wie Leute, die sich nicht wie die Norm kleideten, ausgegrenzt wurden. Avery hatte seither tiefen Respekt davor, dass er seinen irren Kleidungsstil täglich ausführte.

Godwin akzeptierte ihr manchmal mürrisches Dasein und nahm es ihr nicht übel, wenn sie seine süßen Kaffeevariationen in den Müll pfefferte.

Modisch neigte er zu Auffälligkeiten, aber Avery gewöhnte sich daran, mit ihm zusammen als Freak abgestempelt zu werden. Er griff nach jedem Modefauxpas, den die Designer auszumerzen versuchten. Trotzdem war Godwin einer der authentischsten Menschen, die sie kannte. Da konnte sie über neongelbe Hemden und pinke Sneaker hinwegsehen.

„Du triffst den Baseballstar persönlich. Ich hoffe, du denkst dabei an deinen herzallerliebsten Freund Godwin, der sich den Kontakt gerne zunutze machen würde“, erinnerte er sie sanft.

„Stehst du etwa auch wie neunzig Prozent der Bevölkerung auf ihn?“ Genervt knallte sie die Spindtür zu.

„Wir müssen groß denken, Avery. Wer weiß, wozu ein Foto mit dem Kerl gut sein könnte.“

„Und du bist sicher, dass du es nur der Karriere wegen willst?“

„Erwischt.“

Zum zweiten Mal hob Godwin theatralisch die Hände und seine braunen Augen blitzten.

„Der Kerl ist halt fame. Ich stehe drauf.“

Avery seufzte. Selbst ihr bester Freund war dem Kerl verfallen.

„Schön, ich werde dir ein Ticket für die Premiere besorgen.“ Das konnte sie Godwin nicht abschlagen.

„Na also. Geht doch. Selbstverständlich gehen wir zusammen dorthin, nicht wahr?“

„Zuallererst gehen wir zur Kurzfilmvorlesung.“

Avery wies mit dem Zeigefinger auf die Uhr, die ihnen das Zuspätkommen attestierte. „Du weißt, dass McLeroy Verspätungen hasst.“

Godwin seufzte und trank den aromatisierten Kaffee aus. „Fein. Vergiss die Finn-Fame-Sache nicht, ja?“

Avery nickte. Langsam dämmerte ihr, dass sie sich nicht vor der Filmpremiere drücken konnte. Godwin zuliebe musste sie dort aufschlagen. Verdammt!

Während der Vorlesung von McLeroy grübelte sie, wie sie Tag X überstehen könnte. Godwin und Emma waren sicherlich beide unzurechnungsfähig und George komplett aus dem Häuschen. Vor ihm musste sie sich in Acht nehmen, sonst landete sie am Ende mit Schürze hinterm Herd und musste den Star bekochen. Ihrem Chef war alles zuzutrauen.

Sie kam zu dem Entschluss, dass wenigstens ein beherrschter Mensch, in dem Fall sie selbst, den Laden schmeißen musste. Nicht, dass sie neugierig wäre auf Mr. Dreikäsehoch-Baseballstar. Das erlaubte ihr Stolz nicht. Der war nämlich professionell. Wie es sich für eine Regisseurin gehörte. Händeschütteln hier, Small Talk da, ein warmes Lächeln dort. Die üblichen Dinge, die man eben abspulte. Fernab von jeglichem Fantum.

Heimlich zog sie ihr Smartphone aus der Jeans und tippte eine Nachricht an Emma.

Avery:
Hey Em. Kannst du mir zwei Karten für Finn Fame reservieren? Godwin steht auf ihn :-( …

 

Emmas Antwort folgte umgehend.

Emma:
Der Junge hat Geschmack und kann vermutlich zaubern, wenn er dich rumkriegt den Film zu schauen …

Avery:
Bla. Bla. Reservierst du?

Emma:
Schon erledigt. Sehen wir uns nächste Woche?

Avery:
Jepp. Danke. Du bist die Beste :-*

 

Rasch steckte Avery das Handy weg und verfolgte McLeroy, der über die Kriterien der Kurzfilmerstellung referierte. Sie mied Godwins fragenden Blick.

McLeroy räusperte sich. „Heute möchte ich Ihnen Ihr wichtigstes Projekt vorstellen. Ein Kurzfilmprojekt. Sie sollen, jeweils zu zweit, einen Kurzfilm erstellen, der beim Premierenfestival in vier Wochen bei uns im Haus vorgeführt wird. Wie Sie alle wissen, laden sich die hochrangigsten Produzenten und Talentscouts der Branche dazu ein. Nutzen Sie Ihre Möglichkeiten und begeistern Sie mich in den nächsten Tagen mit Ihrem Kurzfilmthema. Equipment wird Ihnen gestellt, dazu wenden Sie sich bitte an das Sekretariat.“

Nervöses Kribbeln flutete Averys Bauch. Endlich durften sie loslegen. Sie bemerkte, wie Godwin aufgeregt mit dem Bein wippte. Natürlich würde sie den Film mit ihm produzieren, mit wem sonst?

Sein wissendes Lächeln fand sie. Jetzt mussten sie nur noch ein passendes Thema finden.

Das war die Chance, endlich gesehen zu werden. Von den wichtigsten Leuten der Branche, und der Traum von Hollywood rückte näher.

Kapitel 2

Nachdem Avery die restliche Woche dem Thema Finn Fame aus dem Weg gegangen war und Godwin beim Brainstorming zum Kurzfilmthema jegliches Wort über den Baseballstar verboten hatte, wappnete sie sich für ihre Schicht im Vorverkauf. Die ersten Tage waren absolut der Horror gewesen, wie Emma per Whatsapp verlauten ließ. Das war nicht überraschend, denn anscheinend stand der ganze Kontinent auf den Kerl. Wann George wohl einen Anbau für den Massenauflauf am Cinema plante? Ganz L.A. würde durchdrehen.

Lustlos zog Avery die Haustür zu und lief den Hobard Boulevard Richtung Regal Cinema entlang. Vereinzelt streifte sie an Palmen vorbei, die majestätisch in die Höhe ragten. Sie schafften es jedoch nicht, die Gebäude des Boulevards zu überragen.

Averys Laune sank, als sie den weißgrauen Wohnkomplex kurz vor dem Cinema passierte. Sie hasste hysterische Menschenansammlungen bei Konzerten, Filmpremieren und Fahrattraktionen. Die Menschen hatten sich dort nicht im Griff und mutierten zu Kleinkindern, die jede Erziehung vergaßen.

„Heeey“, wurde sie aus ihren Gedanken gerissen und spähte überrascht über die Schulter. Zwei Mädchen, vermutlich im zarten Alter von dreizehn Jahren, warfen ihr einen scheuen Blick zu.

„Du arbeitest doch im Kino, oder?“, fragte die kleinere.

Avery nickte. „Ja, genau. Ich bin auf dem Weg zu meiner Schicht.“

„Wir haben uns gefragt, ob du uns mit reinnehmen könntest, damit wir sicher Karten für Finn Fame bekommen.“

Die blauen Augen der Kleinen richteten sich flehend auf sie, und sie lächelte scheu. Ihr rosa Lipgloss schimmerte in der Sonne.

„Na, ihr habt Nerven.“

Jetzt wurde sie schon von dreizehnjährigen Pubertierenden auf dem Weg zur Arbeit verfolgt. Drehten nun alle durch?

„Bitte“, winselte die blonde und faltete die Hände.

„Vergesst es. Ihr stellt euch an, wie jeder andere Fan“, wies Avery die beiden zurecht und setzte ihren Weg fort. Das Getrappel der Mädchen ignorierte sie. Es wurde lauter und Avery rechnete schon damit, dass sie angestupst werden würde. Unwirsch hielt sie inne und wandte sich um. „Hört mal. Die Kassiererin zu belästigen, ist keine gute Idee. Denn mir fallen zig Gründe ein, weshalb ich euch die Tickets nicht verkaufen sollte. Also haltet Abstand und reiht euch verdammt noch mal in die Schlange ein.“

Die Worte entfuhren ihr ruppiger als gewollt und sie bemerkte die verstörten Mienen der beiden. Das Thema Finn Fame war für Avery Kryptonit, das sie bald zum Explodieren brachte. Der Baseballer störte ihr gesamtes Privatleben inklusive der Suche nach dem Kurzfilmthema, denn Godwin schweifte, trotz Finn-Fame-Sprechverbot, in Schwärmtiraden ab. Das alles war dermaßen frustrierend, dass sich ihr Frust verselbständigte und nun auf die zwei kleinen Mädchen prallte.

Sie drehte sich ohne ein weiteres Wort um und beschloss, über den Hintereingang ins Cinema zu gelangen, damit die beiden sie nicht weiter verfolgten.

Das Stimmengewirr der Fans drang schon an ihr Ohr, bevor sie die Kurve zum Regal Cinema erreichte. Genervt begutachtete sie die Schlange auf dem gepflasterten Vorhof. Überwiegend Mädchen unterschiedlicher Altersklassen. Der pure Hype.

Avery huschte um das Gebäude, das zur Hälfte mit schwarzen Platten verkleidet war. Durch den Hintereingang schlüpfte sie ins Lager und atmete tief durch. Ihr Blick fiel auf das Mineralwasser, das als „natriumarm“ auf dem Getränkekasten angepriesen wurde. Jepp, das war nicht unbedingt förderlich für ihre Laune.

„Halleluja“, platzte es pampig aus ihr heraus. Hoffentlich war der Kerl kurz vor der Dehydration!

Schnell trat sie aus dem Lager zielsicher zum Tresen im Eingangsbereich. Emma wartete schon.

„Wie lange steht die Horde Affen schon vor der Tür?“, begrüßte sie ihre Freundin patzig. Da war es wieder, das Frust-Ding.

„Zwei Stunden.“

„Du bist seit zwei Stunden hier?“

„Ja, das geht die ganze Woche so. George will, dass wir ein Auge auf die Groupies haben. Nicht dass die hier einbrechen.“

Avery hob entsetzt die Augenbrauen. „Und dafür lässt er dich früher antanzen, statt seinen Arsch herzubewegen?“

Emma zuckte mit den Schultern. „Bezahlte Überstunden. Außerdem sitzt er sicher in seinem Büro.“

„Wenns sonst nix ist. Man könnte ja auch Security anheuern, aber nein, lieber lässt man das qualifizierte Personal des Cinemas schuften. Ist ja auch neuerdings unser Spezialgebiet, Menschenmassenmanagement“, brummte Avery und bootete den PC. Sie verdrängte die Klopfgeräusche an der Eingangstür. Da hatte sich George wieder fein aus der Affäre gezogen. Alles Futter für ihren Frust.

„Ave, du weißt doch, wie George denkt. Ich schätze, die Karten gehen heute sowieso aus.“ Emma war zu gutmütig und ließ sich von George weichspülen. Sie war ein Engel.

„Na, immerhin. Dann hat der Spuk bald ein Ende.“

„Sei nicht immer so negativ“, schimpfte Emma und wandte sich angepisst dem Bildschirm zu.

„Ich bin nicht negativ.“

„Doch, bist du. Was hast du gegen Finn Fame? Ich werde es nie verstehen, wie du aus Prinzip einen Star hasst, den du nicht mal kennst.“ Sie zog zwei Tickets aus dem Drucker und schob sie zu Avery. „Hier, bitte!“

„Danke und nein, ich muss ihn nicht kennen, um ihn nicht zu mögen, oder? Sowas nennt man Sympathie. Er ist mir nicht sympathisch. Punkt. An dem ist doch nichts Echtes. Nichts Nahbares.“ Sie nahm die Premierentickets.

„Aha.“ Emma verschränkte die Arme. „Du weißt schon, dass du dich als zukünftige Regisseurin mit ganz anderen Stars herumschlagen musst?“

„Natürlich. Aber die müssen dann machen, was ich sage, wenn ich denn mit ihnen drehen soll.“

Avery schürzte die Lippen. Zumindest war das in ihrer Vorstellung des Regisseurseins verankert.

„Und was, wenn der Drehbuchautor jemanden wie Finn Fame haben will? Sagst du dann die ganze Filmproduktion ab?“ Emmas Blick verfinsterte sich.

„Vermutlich nicht. Nein“, seufzte Avery. „Noch bin ich ja nicht in der Position mit solchen Möchtegernwürstchen arbeiten zu müssen.“

Sie reckte trotzig das Kinn. Irgendwann würde ihr diese Moral um die Ohren fliegen. Spätestens dann, wenn sie wirklich mit einem Starkaliber arbeiten musste.

Der Knipser trat mit verkniffener Miene an den Verkaufstresen.

„Alter, die Weiber sind wahnsinnig.“ Sein grimmiger Blick wanderte zur Eingangstür, an die die vorderen Mädchen immer vehementer klopften. Von Klopfen war schon gar nicht mehr die Rede, es klang eher, als würde ein Maschinengewehr feuern.

Avery zischte. „Die zwei Minuten werden sie wohl noch aushalten.“

„Sag mal, du warst nie Fan von einem Star in deiner Teeniephase, was?“, fuhr Emma sie entrüstet an und Avery wechselte einen verdutzten Blick mit Dave.

„Was bist du jetzt wieder so mürrisch?“

„Für diese Mädchen geht ein Traum in Erfüllung. Nicht jeder hat das Glück, sein Idol zu treffen. Das kann ein einschneidendes Lebensereignis sein.“

„Jaja, nicht jeder braucht so einen Lackaffen wie Finn Fame, als Idol oder zur Seelenrettung“, konterte Avery und rang dem Knipser damit ein Grinsen ab. Sie war froh, dass er ebenso ein Antifan von Finn Fame war wie sie. Woher diese Antipathie gegen ihn kam, konnte sie nicht wirklich erklären. Sicher lag es daran, dass der Baseballstar immer diese arrogante Attitüde im TV oder auf Hochglanzbildern in den trendigsten Magazinen hatte. Eine Grundeinstellung, die Avery nicht ausstehen konnte.

„Ein Sportler ist immer noch besser als ein drogenabhängiger Popstar, der sich den Arsch volltätowiert“, erklärte Emma schnippisch. „Denk daran, eines Tages musst du vielleicht mit so jemandem arbeiten.“

„Ladys, wir sollten die Türen öffnen“, unterbrach Dave den anbahnenden Streit und tippte mit dem Zeigefinger auf seine blaue Retrowatch am Handgelenk. Er zog den Knipser aus der Jeanstasche des nicht zu verachtenden Hinterns und wartete darauf, dass Emma den Schlüssel zückte.

„Bereit für den Ansturm deines Lebens?“ Sie trat hinterm Tresen hervor und die Menge vor der Tür jubelte.

„Bereit!“

Avery reckte das Kinn und musterte den Pulk vor der Tür angriffslustig. Sie bemitleidete den Fensterputzservice, der sich demnächst mit den Handabdrücken beschäftigen durfte.

Emma wurde wirsch beiseitegestoßen, als die ersten Hardcorefans ins Kino stürmten. Dave eilte zu ihr, um sie durch die Menge drängelnder Jugendlicher zurück zum Verkaufstresen zu lotsen. Dort pochten die Leute vor Averys Nase auf den Tresen oder riefen ihre Bestellungen durcheinander.

Avery, die nicht wusste, wohin sie sich zuerst wenden sollte, schnellte vom Drehstuhl auf, als sich jemand an den Mini-Aufstellern des Baseballstars vergriff.

„Okay Leute, jetzt mal zivilisiert. Könnt ihr euch anstellen und eine Reihe bilden wie zu euren Kindergartenzeiten? Anders wird das hier nichts!“ Avery funkelte die Menge auffordernd an. Ein Megaphon wäre jetzt hilfreich gewesen und Securitys. Sie würde George umbringen.

Ein Mädchen im Finn-Fame-Trikot kicherte.

„Ja, auch du hast dich anzustellen“, fuhr sie es an. „Ich weigere mich, Tickets zu verkaufen an einen Haufen unkultivierter Menschen, die sich benehmen wie im Schweinestall, wenn Fütterungszeit ist. Fehlt noch, dass ihr das Grunzen anfangt.“ Ihr Herz pochte und Wut pulsierte in ihrem Bauch.

Daves Prusten drang an ihr Ohr und sie drehte sich zu ihm. „Du solltest nicht meine Autorität durch dein Gekicher untergraben.“

Er hob beschwichtigend die Arme. „Sorry! Mann, bist du empfindlich.“

Avery schnaubte. Wenn sie schon Tickets für den Baseballer verkaufen musste, dann gefälligst nach ihren Bedingungen.

„Hört mal, ich an eurer Stelle würde tun, was die hübsche Kassiererin sagt, sonst gibt es keine Tickets. Glaubt mir, sie hält ihr Wort.“

Der Knipser schenkte Avery ein entschuldigendes Lächeln und sie beobachtete zufrieden, wie sich die drängende Meute langsam zu einer Warteschlange formte. Dankbar nickte sie Dave zu, der hinter den Tresen schlüpfte.

„Ihr braucht sicher Hilfe beim Abreißen, oder? Ich kann mehr als nur Knipsen.“

Emma lächelte und bediente einen Hardcore Finn-Fame-Fan, der sich in so ziemlich jeden Fanartikel gehüllt hatte, den es auf dem Markt gab. Höflich schob sie dem Herrn einen Ticketstapel zu.

Dave machte seinen Abreißjob wirklich gut. Avery war erstaunt, wie effizient sie zu dritt arbeiteten. Sie musste George dringend vorschlagen, im Vorverkauf eine dritte Person einzusetzen.

Nach zwei Stunden war immer noch kein Ende der Warteschlange in Sicht. Die Leute in Fankleidung säumten sich um die Ticketausgabe und heizten den Vorraum auf.

Avery fächerte sich Luft zu, als sie auf das Grübchenlächeln eines süßen Typens sah.

„Auch Finn-Fame-Tickets?“, fragte sie, und bevor der attraktive Kerl antwortete, schob sich das Drei-Tage-Bart-Gesicht ihres Chefs George ins Sichtfeld. Emma übernahm daraufhin Mr. Attraktiv, dem Avery wehmütig nachblickte. George vermasselte ihr die Tour. Sie hatte schon ewig keinen süßen Kerl mehr gedated.

„Und, wie läuft es?“, fragte George euphorisch.

„Ich glaube, der Drucker läuft heiß“, erklärte Avery und ein freudiger Glanz trat in Georges blaue Augen.

„Außerdem schwitzen wir und eine kleine Pause wäre echt nett.“

„Oh.“ Er fasste sich fahrig an den braun melierten Haarschopf. „Ja, ich wollte euch was zu trinken mitbringen. Das habe ich aufgrund der tollen Neuigkeiten vergessen.“

„Sag mir bitte nicht, dass Lady Gaga ihre Film-Biographie bei uns als Premiere zeigen will?“

Avery wollte sich nicht ausmalen, was ihr Chef für bahnbrechende Neuigkeiten im Gepäck hatte. Das verhieß in neunzig Prozent der Fälle nichts Gutes.

„Echt? Lady Gaga hat einen Film gedreht?“ George fuhr sich über seine Bartstoppeln. „Davon weiß ich gar nichts. Ich sollte dringend mal bei ihr anfragen.“

„Das war ein Witz, George.“

Avery biss sich auf die Unterlippe, um nicht aufzulachen. Ihr Chef erfüllte jedes chaotische Klischee.

„Ah. Okay. Gut. Also, warum ich dich störe, das Management von Finn Fame hat sich für einen Kontrollgang angekündigt. Ist das nicht großartig?“

„Aha“, brummte Avery, die daran nichts Großartiges feststellen konnte, außer, dass er sie großartig von der Arbeit abhielt.

„Das Beste kommt noch!“

Er beugte sich geheimnistuerisch zu ihr und ignorierte die mit Dollarscheinen wedelnde Frau neben ihm.

„Ich will, dass du den Kontrollgang mit denen durchführst.“ Ein freudestrahlendes Lächeln huschte ihm auf die Lippen.

Shit! Avery wusste, dass George erwartete, dass sie in Jubel ausbrach, was sie nicht tat. Denn sie verstand nicht, weshalb sie darüber jubeln sollte.

„Das … ähm … ist ja echt nett“, nuschelte sie. „Wann soll der Spaß denn losgehen? Wie du siehst, haben wir haufenweise Kunden. Wäre es nicht besser, du erledigst das?“ Sie zwang sich, angesichts der wedelnden Frau diplomatisch zu bleiben. Hatte ihr Chef kein Taktgefühl?

Blöde Frage. Hatte er nicht.

„In einer halben Stunde.“ George setzte seinen Dackelblick auf und formte eine Schnute. „Du bist viel besser dazu geeignet als ich, Avery.“

„In einer halben Stunde?“, platzte es aus ihr heraus. „Hast du die Warteschlange gesehen? Die kriegen wir sogar zu dritt nie bis Ende der Schicht abgefertigt. Kannst du das nicht verlegen?“

„Ich weiß.“ Schuldbewusst senkte er den Blick. „Das Management hat sich kurzfristig angekündigt. Bist du so lieb und übernimmst das? Du kennst dich besser mit den Abläufen aus, als ich. Verlegen ist leider nicht drin. Das habe ich schon abgeklopft.“

Avery lag ein „Das ist dein Kino, nicht meins“ auf der Zunge, aber sie schluckte den bissigen Kommentar hinunter und nickte. „Na schön. Kannst du im Gegenzug dafür sorgen, dass wir im Vorverkauf eine dritte Person gestellt bekommen? Es hilft ungemein, dass Dave die Tickets abreißt.“

George nickte geschäftig. „Natürlich.“ Er wandte sich an Emma und Dave. „Leute, Avery wird euch für ein halbes Stündchen oder Stündchen verlassen. Keine Sorge, ich bringe sie wohlbehalten wieder.“

Unter Emmas fragendem Blick schob George Avery vom Verkaufstresen durch die Menge tobender Fans zum Hintereingang.

Das Management konnte keinesfalls durch das Gemenge der wild gewordenen Fans eintreten. Wenn die wüssten, mit wem sie gleich durch das Cinema flanierte, würden sie ausrasten. Avery ging fast schon davon aus, dass die hartgesottenen Fans wussten, wer die Leute in Finn Fames Management waren. Dafür hätte sie eigens einen Bodyguard verdient.

„Tausend Dank, Avery.“ George zupfte seinen Karohemdkragen zurecht und sie seufzte.

„Schon gut. Kann ich mich noch kurz frischmachen?“

Sie steuerte auf die Damentoilette zu, als sie bemerkte, dass George davonhastete.

„Ah, da sind Sie ja, darf ich Sie in die vertrauensvollen Hände von Avery übergeben?“ Tönte seine schnurrige Stimme.

Na, das lief ja super. Von wegen halbe Stunde. Sie ballte die Hand zur Faust, ordnete sich und setzte ein charmantes Lächeln auf. Zum Glück war die Schauspielerei ein großer Baustein ihrer Ausbildung. Small Talk, warmes Lächeln and so on …

Sie wandte sich um und blickte auf die bullige Gestalt eines dunkelhäutigen, der eine schwarze Jacke mit Sicherheitsdienstlogo trug. Ein Bodyguard, der sie aufmerksam musterte. Neben ihm stand eine attraktive Dame mit blauem Kostüm, zu einem strengen Knoten frisierten Haaren und feuerroten Lippen. Ihre Miene sah nicht halb so freundlich aus wie die des Bodyguards. Im Gegenteil, die Skepsis sprang ihr beinah aus dem schmalen Gesicht und von den dünnen Lippen, die sie zusammenkniff.

„Ich bin Avery.“ Sie reckte der missmutig blickenden Frau die Hand entgegen. Den Teil mit dem warmen Lächeln sparte sie sich. „Und ich freue mich, Sie in unserem Kino begrüßen zu dürfen.“

Als die Dame nicht reagierte und stattdessen ihr blaues Klemmbrett, das sie sich unter den Arm geklemmt hatte, hervorzog, griff der Bodyguard nach Averys Hand.

„Baxter, angenehm.“ Sein Händedruck war warm und die große Hand umfasste Averys komplett. Sie war froh, dass wenigstens er Manieren besaß. Seine braunen Teddyaugen waren sympathisch, wenngleich sein massiger Oberkörper furchteinflößend wirkte.

„Gedenken Sie, hier eine Grundreinigung durchzuführen, bevor Finn Fame das Cinema betritt?“, erkundigte sich die Managementtante.

„Äh … ja … natürlich“, bestätigte Avery schnell mit einem fragenden Seitenblick auf George, der entschlossen nickte.

„Sehr gut.“ Ein zufriedenes Lächeln umspielte die roten Lippen der Frau. „Welche Dienstleistungen beinhaltet die Grundreinigung des hiesigen Putzdienstes denn?“

Avery hoffte inständig, dass George die Frage beantworten würde, doch er schwieg und nestelte am Cordblazer herum. Er hatte vermutlich nicht mal den blassesten Schimmer, wie die Putzfrau hieß.

„Ich bin sicher, Mr. Turner kann diese Frage ausführlich beantworten. Ist es nicht so, George?“

Avery lächelte ihrem Chef angesichts des kleinen Rachehiebs zu. George strich sich fahrig über das Haar. „Es tut mir aufrichtig leid, diesen wichtigen Rundgang mit Ihnen zu verpassen, Miss Illinois, aber ich muss zu einem familiären Notfall.“ Er wedelte mit dem Handy.

Diese Ausrede stank zum Himmel und Avery starrte ihren Chef wütend an. „Sie können sich in allen Fragen vertrauensvoll an Avery wenden.“

Von wegen!

Avery hasste es, wenn sich George aus unangenehmen Situationen wand und es nicht zugeben konnte, keine Ahnung von minimalen Abläufen im Cinema zu haben. Natürlich, wie könnte er auch, schließlich wälzte er so gut wie alles auf sie ab. Eigentlich sollte sie doppelt so viel verdienen. Mindestens!

„Die Familie geht vor“, säuselte Miss Illinois und vermerkte etwas auf ihrem Klemmbrett. Hoffentlich die Inkompetenz von George.

Mit einem knappen Nicken verabschiedete er sich und vermied es, Avery anzublicken. Diese ballte die Hand zur Faust, um nicht aus Frust loszubrüllen. Da waren ihr die tobenden Fans vor dem Tresen lieber als die hochnäsige Miss Illinois.

Baxter zwinkerte verschwörerisch, bevor er sachte mit dem Kinn auf ihre Faust wies.

„Illy, ich bin sicher, der Putzdienst in diesem Cinema arbeitet genauso professionell wie die in den anderen großen Häusern. Vergiss nicht, wir sind in keiner kleinen Absteige, sondern in einem der besten Kinos, das L.A. zu bieten hat.“

„Haben Sie ein gutes Verhältnis zu der Putzfrau?“ Miss Illinois hob den Blick von ihren Notizen und Avery kroch Hitze ins Gesicht.

„Ähm … ja … wir unterhalten uns meistens, wenn wir uns sehen.“

Was waren denn das für Fragen? Wollte Finn die Putzfrau daten? Den neuesten Gerüchten nach hatte er was mit dem Model Sheanna.

„Ah ja.“ Wieder schrappte der Kugelschreiber von „Illy“ über das Papier.

„Das heißt, sie ist eine unkomplizierte Person, oder sind es mehrere?“

„Ja, Milena ist echt nett“, bestätigte Avery, die nicht wusste, wie sie sich aus dem Putzfrauenverhör befreien konnte.

„Milena. Soso.“ Miss Illinois hob eine perfekt gezupfte Augenbraue und wischte sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht. „Wie putzt Milena denn? Hat sie einen Dampfreiniger, mit dem sie die Kinositze regelmäßig reinigt? Wird die Leinwand feucht abgewischt? Und was ist mit dem Teppich? Der sieht mir schon etwas fleckig aus. Welche Abriebquote hat er?“

Bevor Avery antworten konnte, neigte sich Miss Illinois hinunter zur blauen Teppichkante, die sauber am unteren Ende der violett gestrichenen Wand verlegt war. Mit ihrem feuerroten Fingernagel machte sie sich daran zu schaffen.

„Huh“, entfuhr es ihr und sie rappelte sich wieder auf.

Avery konnte sie nur ungläubig anstarren.

„Da sind Staubflusen an der Kante.“ Sie schüttelte den Finger und eine graue Fluse schwebte zu Boden. Miss Illinois schnappte sich den Kugelschreiber.

Avery schnaubte leise. Finn Fame würde doch sicher nicht die Kanten des Teppichs prüfen, geschweige denn damit in Berührung kommen. Was sollte diese Vorführparade?

„Ich werde Milena bitten, den Teppich noch einmal mit dem Dampfreiniger zu bearbeiten, bevor Finn Fame eintrifft“, versuchte sie, das Gespräch in die richtige Richtung zu lenken. Wenn die Dame jetzt schon einen Aufstand anzettelte wegen der Teppichkante, wollte sie nicht wissen, wie sie zu den Schuhabstreifern im Lager stand. Dort krümelte der Schuhabrieb.

„Illy, was kümmert Finn die schnöden Teppichkanten?“ Baxter lächelte Avery aufmunternd zu. „Wichtig wäre zu wissen, wo Finn platziert wird bei der Autogrammstunde. Gibt es genügend Raum, die Menge zu lenken? Ist ein Fluchtweg vorhanden? Neben mir wird er noch von drei weiteren Bodyguards begleitet.“

Erleichtert darüber, endlich eine Frage beantworten zu können, führte Avery den Bodyguard vor die Snackausgabe. Der Wartebereich war oval und eine große Treppe ragte in die oberen beiden Stockwerke, in denen weitere Kinosäle lagen.

„Wir werden ihn vor der Ausgabe positionieren und die Schlange nach den erhaltenen Autogrammen nach oben lenken. Dort wird in jedem der Säle die Premiere gezeigt. Finn wird sie im Hauptsaal unten verfolgen. Wir dachten daran, ihn für die Fans vorzubehalten, die an der Premiere vermutlich schon morgens vor dem Cinema campen und die ersten Autogramme ergattern. Die Snackausgabe wird nicht geöffnet, aber es werden Popcornwägen mit kleinen Snacks und Getränken in den Sälen platziert.“

Baxter nickte zufrieden. „Sehr gut. Mit vier Securitys sollte der Bereich optimal gesichert sein. Ian wird zufrieden sein.“

„Finn benötigt einen Polsterstuhl. Kein Leder. Webstoff oder Brokat“, warf Miss Illinois ein.

„Finns Hintern wird das überstehen, selbst wenn es sich um einen Holzstuhl handelt, Illy. Er signiert nur eine Stunde.“

„Denk daran, was sein Physiotherapeut gesagt hat.“ Miss Illinois zog einen Schmollmund. „Er muss fit sein für die Saison.“

Avery biss sich auf die Unterlippe, um nicht loszuprusten. Das jetzt auch noch Finn Fames Hintern Gesprächsthema war, konnte sie nicht glauben. Immerhin sprachen sie von einem Zweiundzwanzigjährigen und keinem Rentner mit Arthrose. Wie abgehoben musste der Kerl sein, dass die Sitzqualität für eine mickrige Stunde eine Rolle spielte?

„Ja, dass der Junge auf sein Kreuz aufpassen soll, hat sein Therapeut gesagt. Dass da was von einer Stunde auf Leder oder Holz sitzen passieren soll, davon war nie die Rede.“ Baxter warf Miss Illinois einen finsteren Blick zu.

„Fein. Aber der Putzdienst ist auf jeden Fall dazu verpflichtet, jede kleine Ritze, mit der Finn in Berührung kommt, zu reinigen. Die Reinigung schwer handhabbarer Ritzen sollte der Putzdienst im Standardangebot vermerkt haben. Außerdem gilt es, den Teppich regelmäßig von seinem Abrieb zu befreien. Das ist sonst das reinste Nest für Milben.“

Avery hatte sich noch nie Gedanken darüber gemacht, was ein Putzdienst standardmäßig zu reinigen hatte und welche Ritze in deren Angebot hineinpasste und welche nicht. Das war nicht ihre Aufgabe.

Hatte die Frau echt Milben gesagt? Ein kleiner Schauder durchfuhr sie. Das war eklig.

„Ich werde das für Sie bei Milena prüfen, ja?“, bot sie freundlich an, um dem leidigen Thema endlich zu entkommen und sich in Sachen Milben besser zu fühlen.

Sie verstand Georges Flucht. Dafür war er ihr mindestens eine LKW-Ladung Popcorn schuldig.

„Gut. Ich erwarte morgen Ihre Rückmeldung.“ Miss Illinois notierte die kleine Absprache auf ihrem Klemmbrett. Danach musterte sie den ovalen Bereich vor der Essensausgabe. „Ich denke, der Platz ist geeignet für die Autogrammstunde.“

Halleluja! Avery gab sich mental einen High-Five.

„Jepp, ich denke, das haben wir schon geklärt.“ Baxter seufzte.

„Wo sind die Verpflegungsprodukte für Finn? Lagern sie gemäß den Vorgaben auf den Lebensmittelverpackungen? Wo wird gekocht?“

Auweia, Avery blickte schon der nächsten Katastrophe entgegen und führte die beiden ins angrenzende Lager des Cinemas, das durch eine Tür unter dem Treppenaufgang zu erreichen war. Keine Minute nachdem sie das Licht angeknipst hatte, rümpfte Miss Illinois die Nase.

„Hier lagern die Lebensmittel?“

Avery nickte knapp. „Genau. Zur Ihrer Rechten finden Sie die Kästen natriumarmes Mineralwasser, wie bestellt. Quinoa liegt im Regal und der Tofu im Kühlschrank, wie es sich gehört.“

Sie konnte sich schwammig an die utopischen Gerichte, die auf der verhassten Liste standen, erinnern. Zum Glück hatte sich Emma im Nachhinein bereit erklärt, das Zeug einzukaufen.

„Kochen wird eine Köchin, die ein bürgerliches Restaurant in L.A. führt“, fügte sie schnell hinzu, um „Illy“ was Positives zu berichten.

Baxter legte den Kopf schief. „Ich glaube kaum, dass Finn hungrig sein wird, wenn er hier ankommt.“

„Und wenn doch?“, fragte Miss Illinois.

Avery hätte ihr am liebsten an den Kopf geworfen, dass sie ihre verkackten Wunschprodukte doch selbst hätte mitbringen können, aber sie zwang sich zu einem Lächeln. Das alles trug nicht unbedingt dazu bei, Finn Fame jemals sympathisch zu finden.

„Falls er doch hungrig wäre, haben sich die Mitarbeiter des Cinemas jetzt genug Mühe gemacht, was Nahrhaftes für ihn vorzubereiten“, erklärte Baxter und Avery war ihm dankbar.

„Wollen Sie sonst noch etwas ansehen?“, fragte sie höflichkeitshalber, hoffte aber, dass sich die Managementtante dagegen entschied. Betont lässig stellte sie sich auf den Schuhabstreifer und hoffte, dass Miss Illinois’ Aufmerksamkeit davon absah.

„Nun, eigentlich stehen die Toiletten noch auf meiner Liste.“

„Illy, lass gut sein. Das Kino ist sauber. Ich bin sicher, die Toiletten sind das ebenfalls.“

Holy Moly, Baxter verdiente echt einen Orden, dachte Avery, als die beiden aus dem Lager traten und sie das Licht löschte. Wegen des Schuhabstreifers, versteht sich.

„Na schön“, willigte Miss Illinois ein. „Dann verbleiben wir so, dass Sie sich morgen wegen der Ritzenreinigung melden, sobald Sie Rückmeldung von … äh … dieser Milena haben, ja?“

Avery nickte energisch. Das Telefonat durfte auf jeden Fall George führen.

Nach dem waschlappenartigen Händedruck von Miss Illinois und dem freundlichen Grinsen von Baxter beobachtete Avery grimmig, wie sich die kurvige Silhouette von Finns Managerin durch Baxter an den Hinterausgang schieben ließ. YAY.